Bei der Geschichte des Manananggal muss ich wieder eine kleine Warnung aussprechen: Diese Geschichte ist wohl bisher die grafischest und verstörendste, die ich geschrieben habe. Wenn ihr sowas also nicht so gut abkönnt, lest lieber eine andere.
Inhalt
Die Geschichte:
Der schlimmste Tag meines Lebens begann so normal und unscheinbar, wie er hätte sein können. Ich kam gerade vom Einkaufen zurück und stellte erschöpft die Tüten neben die Haustür. Jayke – mein Mann – wollte nicht, dass ich schwer schleppte – er meinte, es wäre nicht gut für das Baby –, aber irgendwie musste der Einkauf ja ins Haus gelangen. Und er war schließlich auf Geschäftsreise.
„Guten Morgen Armena!“, rief mir jemand zu. Ich drehte mich um und winkte. „Ah, Nieva. Guten Morgen“, antwortete ich fröhlich.
Nieva war meine Nachbarin und es war nicht das letzte Mal, dass ich ihr heute begegnete. Doch es war das letzte Mal, dass ich dabei lächelte.
„Was macht der Bauch?“, fragte sie. „Geht schon, danke. Sie tritt manchmal ein wenig“, erwiderte ich und legte eine Hand darauf. Dann verabschiedeten wir uns und ich wandte mich wieder zur Tür.
Im Haus kam mir sofort ein aufgeregtes, bellendes Bündel Fell entgegen und ich ging vorsichtig in die Knie. Ich begrüßte Kirby – so hieß unser Hund – mit einer Streicheleinheit und schlürfte in die Küche.
Der Rest des Tages verlief, wie fast jeder andere in meiner fortgeschrittenen Schwangerschaft auch: Nachdem ich einen kleinen Spaziergang mit Kirby gemacht hatte, lag ich die meiste Zeit im Bett – lediglich zum Essen und auf Klo Gehen stand ich auf.
Erst gegen Abend hievte ich mich wieder aus dem Bett, um einen letzten Spaziergang mit Kirby zu machen. Mir wurde zwar schon von vielen Leuten angeboten, dass sie wegen meiner Schwangerschaft die Spaziergänge für mich übernehmen konnten, aber was würde ich denn wohl für eine Mutter werden, wenn ich mich nicht einmal um meinen eigenen Hund kümmern könnte. Zudem hatte ich eine feste Route, auf der es mehrere Parkbänke zum Pause machen gab. Trotzdem … Hätte ich auch nur geahnt, was passieren würde, hätte ich die Angebote dankend angenommen.
Draußen war die Nachtluft angenehm warm. Die Straßen waren gut beleuchtet und ich hatte eine freundliche und ruhige Nachbarschaft. Noch nie hatte ich mich hier in irgendeiner Weise bedroht oder ängstlich gefühlt.
Obwohl Kirby an der Leine zerrte, ließ ich mich davon nicht aus der Ruhe bringen. „Kirby, nicht so schnell“, rief ich. Doch auch wenn er sonst immer sehr gut hörte, reagierte er heute nicht darauf und zog einfach weiter an der Leine. Ich seufzte und ignorierte es. Ich fühlte mich zu schwach, um ihn großartig zurechtzuweisen.
Bei der ersten Parkbank angekommen, setzte ich mich erschöpft hin. Vielleicht wurden solche langen Strecken wirklich langsam zu schwierig für mich. Aber wenn Jayke wieder da war, konnte er das ja auch wieder übernehmen.
In diesem Moment hörte ich den Schrei zum ersten Mal. Er klang fast, wie von einem Vogel, hatte aber etwas Furchteinflößendes an sich.
Erst war ich mich nicht sicher, ob ich ihn mir nur eingebildet hatte. Dann ertönte ein zweiter Schrei. Sofort stellten sich meine Haare zu Berge und Kirby fing wieder an, an der Leine zu ziehen.
Durchdringend starrte ich die Straßen entlang und sah in den Nachthimmel. Dort war nirgends etwas zu sehen.
Ich stand auf und ging – so schnell es mir mein körperlicher Zustand ermöglichte – in die Richtung weiter, in die Kirby zerrte. Er war ein Angsthase und wenn er so hektisch wegwollte, führte sein Weg ganz bestimmt von dem Geräusch weg – nur, dass er das heute nicht tat. Je weiter wir gingen, desto lauter wurden die Schreie. Es war ohrenbetäubend. Trotzdem konnte ich immer noch nichts Ungewöhnliches sehen.
Da Kirby nicht lockerließ – ich versuchte inzwischen, ihn an der Leine in die andere Richtung zu ziehen – und ich nicht stark genau war, ihn mitzuzerren, blieb mir nichts anderes übrig, als die Leine loszulassen. Es fiel mir nicht leicht, aber das Geräusch bereitete mir solch ein Unbehagen, dass ich nur noch von ihm wegwollte.
Mit schwerem Herzen sah ich Kirby davonlaufen und hoffte, dass ich ihn am nächsten Tag wiederfinden würde. Ich ging, so schnell ich konnte, in die entgegengesetzte Richtung davon.
Zum Glück war es genau der Weg, den ich gekommen war und es würde nicht lange dauern bis ich Zuhause wäre.
Ich atmete auf, als ich merkte, dass die Schreie langsam leiser wurden. Ich musste mich von der Geräuschquelle entfernen.
Je näher ich meinem Haus kam, desto weiter entfernt klangen die Schreie, bis man sie kaum noch hören konnte. Doch genau das war der Moment, in dem dieses Wesen auftauchte. Ein Wesen – so erfuhr ich später – was man hier auf den Philippinen als Manananggal oder Tikwi kennt.
Als der Schatten von oben herabstürzte, erschrak ich so sehr, dass ich nach hinten wich und das Gleichgewicht verlor. Ich fiel hart auf meinen Rücken und schaffte es gerade noch, meinen Kopf so zu halten, dass er nicht auf den Boden schlug.
Jetzt konnte ich das Wesen im Laternenlicht deutlich erkennen: Es hatte große, fledermausartige Flügel und bestand ansonsten nur aus dem nackten, an der Hüfte durchtrennten Oberkörper einer Frau. Ich konnte genau erkennen, wie Gedärme aus der klaffenden Wunde herausbaumelten, wo die Beine hätten sein müssen. Das Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt und eine lange, spitz zulaufende Zunge baumelte aus seinem Mund. Nein – sie baumelte nicht – es sah eher aus wie eine sich bewegende Schlange, wie kräftiger, angespannter Muskel.
Die Kreatur stieß einen erneuten Schrei aus. Er war jedoch ganz leise und erst jetzt wurde mir der grausame Trick bewusst, mit dem sie mich getäuscht hatte: Sie hatte ihre Stimme gesenkt, als sie näherkam, wodurch ich dachte, ich rannte vor ihr davon. Doch in Wirklichkeit, war ich ihr genau in die Arme gelaufen!
Ich versuchte, aufzustehen, doch das Gewicht meines Bauches und unserer fast geburtbereiten Tochter, drückte mich zu Boden.
Als das Wesen vor mir auf seinen kräftigen Armen landete, krabbelte ich panisch rückwärts. Doch ich war zu langsam. Schnell hatte es mich eingeholt und hielt mich an meinem Fußgelenk mit eisernem Griff fest.
Als sein Kopf sich näherte, konnte ich spitze Zähne erkennen, doch das war nicht das, was mich am Meisten erschreckte. Ich kannte ihr Gesicht. Das war eindeutig meine Nachbarin Nieva! Sie kam noch ein kleines Stück näher. Ihre Zunge zuckte aufgeregt hin und her und sie hatte ihren Blick die ganze Zeit auf meinen runden, gewölbten Bauch gerichtet.
„Oh Gott, Nieva, nicht!“, kreischte ich, als sie ihre Zunge langsam unter meine Jacke schob. Ich konnte sie genau an meinem Bauch fühlen, wie sie sich kalt und schleimig vorarbeitete, bis sie meinen Bauchnabel erreichte.
Ich kann den Schmerz nicht beschreiben, den ich fühlte, als ihre Zunge sich in meinen Bauch bohrte. „Nein! Nein!“, kreischte ich unter Tränen. Doch es war nicht der Schmerz, der mir die Tränen in die Augen trieb, es war die Bewegung in meinem Bauch. Ich konnte genau spüren, wie sie ihre Zunge um meine Tochter wickelte.
Ich wehrte mich mit Händen und Füßen. Von meiner Schwäche war nichts mehr zu spüren und durch meine Adern pumpte Adrenalin. Aber so sehr ich meine Tochter auch retten wollte, ich konnte es nicht. Meine Tritte schien Nieva nicht einmal zu spüren. Ich versuchte, nach ihrem Gesicht zu schlagen, doch sie riss bereits mit einem Rück den Fötus aus meinem Leib und schwang sich so leise, wie sie gekommen war, in den Nachthimmel zurück.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis ein Mann mich fand. Er kam sofort zur Hilfe geeilt und rief einen Krankenwagen. Aber auch, wenn die Ärzte meine Wunden behandeln konnten, so trage ich trotzdem Narben davon. Tiefe, seelische Narben, und ich weiß genau, wie sich die Leere in meinem Körper angefühlt hatte. Eine Leere an dem Ort, wo meine Tochter hätte sein müssen.
Die Legende:
Der Manananggal, auch Tiwki genannt, ist eine philippinische Legende. Er wird häufig mit dem Aswang oder dem Tik-Tik (Link folgt, sobald ich einen Artikel darüber geschrieben habe) verwechselt, tatsächlich handelt es sich aber um drei verschiedene Kreaturen.
Zudem weist der Manananggal Ähnlichkeiten zu der südostasiatischen Legende der Krasue (Link folgt, sobald ich einen Artikel darüber geschrieben habe) auf und es wird spekuliert, ob beide Legenden denselben Ursprung haben.
Aussehen:
Am Tage soll der Manananggal wie eine ganz normale Frau aussehen, die unter den Menschen lebt und höchstens wegen ihrer Schönheit – die ihr manchmal zugesagt wird – auffällt.
In der Nacht jedoch, verwandelt sie sich in eine furchtbare Kreatur – den Manananggal: Ihr wachsen fledermausartige Flügel und sie trennt sich an der Hüfte von ihren Beinen, die sie irgendwo versteckt stehen lässt. Anschließend fliegt sie davon und begibt sich auf die Jagd, während ihre Innereien aus ihrem Oberkörper hängen.
Manananggal besitzen zudem eine sehr lange Zunge.
Eigenschaften:
Ein Manananggal ist ein äußerst seltsames und furchteinflößendes Wesen.
Ähnlich wie die Aswang oder Krasue fressen sie am liebsten Föten, die sie mit ihrer Zunge aus den Leibern von Schwangeren Frauen saugen. Sie ernähren sich jedoch auch von anderem Fleisch, wenn sie nichts Besseres finden.
Die Manananggal besitzen – neben ihren Flügeln – eine weitere, viel grausamere Fähigkeit: Sie sind Meister der Täuschung und Schreien leiser, je näher sie einem kommen. Dadurch hört es sich so an, als würde man sich von dem Manananggal entfernen, während man in Wirklichkeit genau auf ihn zugeht.
Um einen Manananggal zu besiegen, muss man dafür sorgen, dass er in seiner zerteilten Form dem Sonnenlicht ausgesetzt ist. Eine Möglichkeit dies zu erreichen, ist, indem man seine untere Hälfte findet und Salz auf die durchtrennte Stelle streut. Dadurch ist der Manananggal nicht mehr in der Lage, seine zwei Hälften zu verbinden und stirbt bei Sonnenaufgang.
Lebensraum:
Da die Manananggal eine philippinische Kreatur sind, sind sie auch im Normalfall nur auf den Philippinen zu finden. Dort kommt es jedoch in fast allen Regionen immer wieder vor, dass Leute behaupten, einen Manananggal gesehen zu haben.
Ursprung:
Es gibt die Theorie, dass der Manananggal, wie man ihn heute kennt und fürchtet, aus einer Mischung des ursprünglichen Manananggal – der wie die Krasue aus einem abgetrennten, schwebenden Kopf bestehen soll – und den Dämonen und Vampiren des Christentums entstanden ist. Daher kommen auch seine dämonenartigen Flügel.
Wieso der moderne Manananggal jedoch seinen gesamten Oberkörper und nicht nur seinen Kopf ablöst, darüber lässt sich nur spekulieren. Einige denken, es könnte daran liegen, dass es bereits früher viele Frauen auf den Philippinen gab, die ihre Sexualität frei ausgelebt haben. Die Kirche habe daher das Bild der durchtrennten Hüfte erschaffen, um den Frauen ihre Sexualität zu nehmen, während man sie wegen des Oberkörpers trotzdem noch als Frau identifizieren kann.
Wie fandet ihr meine Geschichte zu dem Manananggal? Wie würdet ihr reagieren, wenn ihr einem begegnet? Und was denkt ihr, wieso in philippinischen Legenden so häufig schwangere Frauen die Opfer sind? Schreibt mir eure Meinung in die Kommentare!
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Tolle Geschichte, gut geschrieben und noch ein Grund mehr die Philippinen zu meiden, sollte man schwanger sein. 😀
Zu den Fragen:
~Wie würdet ihr reagieren, wenn ihr einem begegnet?
Weglaufen und darauf achten, wenn er schreien sollte, aus welcher Richtung der Schrei kommt.
~Und was denkt ihr, wieso in philippinischen Legenden so häufig schwangere Frauen die Opfer sind?
Ich weiß nicht, welchen Stellenwert Schwangere auf den Philippinen haben, aber vielleicht gelten Verbrechen an Schwangere als besonders grausam. Vor allem wenn dabei das Baby verletzt wird.
Das ist aber nur eine Vermutung, da ich mich mit der Kultur der Philippiner nicht auskenne.
Liebe Grüße
Monika
<emTolle Geschichte, gut geschrieben und noch ein Grund mehr die Philippinen zu meiden, sollte man schwanger sein. 😀
Ob man in der Schwangerschaft so weite Strecken reisen sollte, weiß ich sowieso nicht. :’D
Weglaufen und darauf achten, wenn er schreien sollte, aus welcher Richtung der Schrei kommt.
Weglaufen ist immer gut. Wenn man dann noch wild um Hilfe brüllt, hat man ja vielleicht sogar eine Chance. ^^
Ich weiß nicht, welchen Stellenwert Schwangere auf den Philippinen haben, aber vielleicht gelten Verbrechen an Schwangere als besonders grausam. […]
Das wäre natürlich auch eine passende Erklärung. Eine andere Vermutung, die ich gehört habe, ist, dass man damit dafür sorgen wollte, dass Schwangere besonders auf sich acht geben oder Verwandte und Freunde sich möglichst viel um die Schwangere kümmern.
Für mich ist das ein Grund die Philippinen zu besuchen. Aber erst wen ich erwachsen bin. Und ohne meine Freundin, ich hätte zuviel Angst um die. Deshalb würde ich auch nur kurz dort bleiben, da ich sie vermissen eürde