The Phantom Trapper of Labrador ist eine bekannte kanadische Geistergeschichte. Da der Phantom Trapper nur auftauchen soll, wenn es schneit, habe ich mich entschieden, damit die diesjährigen Winter-/Weihnachtsgeschichten einzuleiten. Aber keine Sorge: Der nächste Beitrag handelt von einer tatsächlichen Weihnachtslegende.
Viel Spaß beim Gruseln!
Inhalt
Die Geschichte:
„Dein Ernst, Olivia?“, fragte mein Bruder. Er sah mich entgeistert an. „Du hast noch nie von The Phantom Trapper of Labrador gehört?“
Ich schüttelte den Kopf. „Wieso? Muss ich den etwa kennen?“, fragte ich kleinlaut.
„Ja!“, platzte mein Bruder hervor. „Du kannst nicht in Labrador leben, ohne je von Ol‘ Smoker gehört zu haben. Er ist hier fast so berühmt wie der Weihnachtsmann!“
Ich rutschte nervös auf der Bettkante hin und her. Ich hasste Geistergeschichten, doch in dem Moment kam mir die Aussage von meinem Bruder schlüssig vor.
Da ich nicht widersprach, setzte mein Bruder ein Grinsen auf. „Ol‘ Smoker, oder Esau Gillingham, wie er eigentlich hieß, war einst ein berüchtigter Verbrecher. Er war ein Trunkenbold, schlug Frauen und auch Kinder, wie dich. Aber er war auch ein begabter Fallensteller und Fellhändler.
Immer, wenn er auf seinem Hundeschlitten in die Städte und Dörfer kam, wandten die Polizisten ihre Blicke ab. Sie taten so, als würden sie ihn nicht erkennen, weil er die feinsten und schönsten Felle mitbrachte.
Erst, wenn er all seine Felle verkauft hatte, begann er, das verdiente Geld in der nächsten Taverne zu versaufen und in seinem betrunkenen Zustand Frauen zu belästigen. Dann vertrieb man ihn mitsamt seinem Hundeschlitten wieder aus der Gemeinde, bis er irgendwann mit seinen schönen Fellen zurückkam.
So ging das die ganze Zeit. Einige Leute sagen auch, er braute nebenbei seinen eigenen Alkohol. Ein billiges Gesöff namens Smoke, das er an die Leute verkaufte. Daher soll auch sein Spitzname Ol‘ Smoker kommen.
Der Alkohol war allerdings so schlecht hergestellt, dass er die Menschen vergiften konnte. Einige sollen sogar blind geworden sein. Der Fallensteller war also ein richtiges Ekel. Er kümmerte sich nur um sich selbst. Die anderen waren ihm völlig egal.
Doch während die Leute bei seinen bisherigen Verbrechen beide Augen zudrückten, um nicht auf seine edlen Felle verzichten zu müssen, ging er mit seinem Alkohol zu weit. Sie mochten es nicht, dass er ihre Nachbarn vergiftete. Und so folgten sie ihm eines Tages zu seiner Destille im Wald, wo er seinen Smoke braute. Sie zerstörten sie und nahmen Ol‘ Smoker gefangen. Er landete ein ganzes Jahr im Gefängnis.
Aber selbst im Kittchen blieb Ol‘ Smoker nicht untätig. Er schmiedete einen neuen Plan, machte sich Gedanken über seine Zukunft. Und so wusste er genau, was er zu tun hatte, als er wieder auf freiem Fuß war.
Zuerst besorgte er sich weiße Huskys. Acht treue Hunde mit schneeweißem Fell. Keine Ahnung, ob er sie gestohlen, mit seinem angesparten Geld gekauft oder sie erbettelt hat. Danach baute er seine Destille wieder auf. Wieder begann er, seinen giftigen Smoke herzustellen, um ihn unter die Leute zu bringen. Diesmal malte er die Destille jedoch weiß an, damit sie im Schnee nahezu unsichtbar war – zumindest während sie nicht in Betrieb war.
Dasselbe tat er mit seinem Schlitten. Und sogar seine Felle, aus denen seine Kleidung bestand, tauschte er Stück für Stück gegen weiße Felle aus.
Wenn er jetzt auf seinem Schlitten durch den Schnee raste, war er fast perfekt getarnt. Wann immer man versuchte, ihn zu verfolgen, verloren die Leute ihn und seine weißen Hunde schnell aus den Augen. Und so soll er noch viele Leute mit seinem Alkohol vergiftet haben, während er ihnen das letzte Geld aus den Taschen zog.“
Mein Bruder machte eine dramatische Pause. Ich sah ihn erleichtert an. Ließ meine baumelnden Füße vor und zurück schwingen. Fast war ich erleichtert. Bisher fand ich die Geschichte nicht wirklich gruselig.
Dann jedoch grinste mein Bruder mich wieder breit an. „Das ist aber noch nicht alles“, fuhr er fort. „Ich hab dir noch gar nicht erzählt, wie Ol‘ Smoker zum Phantom Trapper von Labrador wurde. Denn das geschah erst nach seinem Tod.
Niemand weiß genau, wie der alte Fallensteller gestorben ist. Ob die Bewohner ihn doch irgendwann erwischt haben, er mit seinen Hunden im Schnee erfroren ist oder sich an seinem eigenen Smoke vergiftet hat.
Aber eigentlich ist es auch egal. Wichtig ist nur, dass seine verdorbene Seele auch nach seinem Tod die Erde nicht verlassen hat. Es heißt, dass du manchmal im Wind das Bellen von Hunden hören kannst, das Knallen seiner Peitsche. Kurz darauf setzt ein schlimmer Schneesturm ein. Wenn du mich fragst, bringt Ol‘ Smoker den Sturm. Er will, dass du dich im Schnee verirrst, damit er dich packen und auf seinen Schlitten ziehen kann.
Wenn du also jemals draußen unterwegs bist und das Bellen seiner Hunde hörst, solltest du rennen. Denn wenn du die weißen Huskys siehst und seinen weißen Schlitten, kann es bereits zu spät sein.“
Jetzt baumelten meine Beine nicht mehr. Meine Erleichterung war zu einem verkrampften Magen geworden. Ich schluckte schwer.
Was ich jedoch nicht wusste, war, dass mein Bruder einige wichtige Details weggelassen hatte. Er hatte mir nicht die ganze Geschichte erzählt, nicht die ganze Wahrheit hinter dem Phantom Trapper of Labrador.
—
Wirklich vergessen konnte ich die Geschichte nie. Ich hatte fast eine Woche lang Albträume von Ol‘ Smoker gehabt, wie er mich auf seinem weißen Schlitten holen wollte. Das war aber auch kein Wunder. Immerhin war ich damals erst sechs Jahre alt gewesen. Seitdem hatte ich die Legende aber, so gut es ging, verdrängt.
Warum sie mir jetzt, über neun Jahre, nachdem mein Bruder sie mir erzählt hatte, wieder in den Sinn kam? Ganz einfach: weil ich in der Ferne das Gebell von Hunden hören konnte. Der Wind trug die Geräusche zu mir rüber. Dann knallte eine Peitsche.
Natürlich wusste ich, dass es nicht der berüchtigte Fallensteller war. Er konnte es nicht sein. Es gab keine Geister. Ich glaubte schon seit Jahren nicht mehr daran.
Trotzdem vergrub ich mein Kinn tiefer in meinem Schal und beschleunigte meine Schritte. Es wurde allmählich spät. Egal ob Geist oder nicht, ich sollte aus dem Wald raus sein, ehe es zu dunkel wurde.
Wieder knallte die Peitsche. Wer auch immer da draußen auf seinem Hundeschlitten saß, schien es mindestens genauso eilig zu haben. Und das aus gutem Grund. Ein kräftiger Windstoß schlug mir ins Gesicht. Schneewehen wirbelten über den Weg vor mir. Sie hüllten alles in einen schwachen weißen Schleier. Es sah ganz danach aus, als wäre ein Schneesturm im Anmarsch.
„Er bringt den Sturm“, murmelte ich. Es war ein alberner Gedanke, aber war es nicht das, was mein Bruder damals gesagt hatte? Dass ein Schneesturm aufkommt, nachdem man Ol‘ Smoker in der Ferne gehört hat?
Nun lachte ich nervös. „Jetzt beruhig dich mal, Olivia“, murmelte ich mir zu. „Du bist doch kein Kind mehr.“
Trotzdem beschleunigte ich meine Schritte noch weiter. Ich rannte jetzt durch den knirschenden Schnee. Aber das lag natürlich nur an dem aufkommenden Sturm. Nicht etwa an irgendeiner Geistergeschichte, vor der sich nur Kinder gruselten.
Dann plötzlich wurde ich langsamer. Ich näherte mich einer Weggabelung. Normalerweise wäre das kein Problem für mich. Ich spielte, seit ich laufen kann, in diesem Wald. Sonst hätte ich wahrscheinlich nur anhand der umstehenden Bäume erkannt, wo genau im Wald ich jetzt war. Die Schneewehen waren allerdings inzwischen so stark geworden, dass ich die Stämme nur noch als schemenhafte Umrisse im Weiß erkannte. Auch musste ich die Augen zusammenkneifen, da der eisige Wind inzwischen schmerzhaft in ihnen stach.
Scheiße! Okay. Ruhig bleiben. Wo konnte ich sein? Mir fielen zwei Weggabelungen auf dem Weg nach Hause ein. Bei der ersten führte der linke Weg einige Kilometer tiefer in den Wald, ehe er bei einer verlassenen Sägemühle endete, und der rechte führte nach Hause. Wenn ich an besagter Gabelung allerdings schon vorbei war, würde der Weg links nach Hause führen, und der rechts lediglich zu einem Rundgang durch den Wald.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Denk nach, Olivia. Denk nach!
Ich kam jedoch nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Wieder ertönte das Bellen von Hunden. Waren sie nähergekommen? Aus welcher Richtung kamen sie? Ich hatte sie erst wieder gehört, als der Wind gedreht hatte, also kamen sie … Schnell wirbelte ich herum. Das Geräusch kam vom Weg hinter mir!
Wieder knallte die Peitsche. Diesmal war das Geräusch so laut, so nahe, dass es mir einen Schauer über den Rücken trieb. Und das lag nicht nur an der untergehenden Sonne und der zunehmenden Kälte.
Trotzdem zwang ich mich, stehenzubleiben. Ich schluckte den Drang hinunter, wegzulaufen. Wenn das Geräusch aus dem Wald kam, musste der Hundeschlitten dem Weg folgen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er mich erreichte. Bestimmt konnte mir der Schlittenführer den richtigen Weg zeigen.
Also wartete ich. Ich schlang die Arme um meinen zitternden Körper, wippte auf den Füßen vor und zurück, um mich warm zu halten. Die Geräusche kamen näher.
Trotzdem konnte ich außer dem Schneegestöber kaum etwas erkennen. Ich hatte ein paar Mal das Gefühl, Bewegungen in der Ferne zu sehen, aber dort war alles weiß. Es zeichnete sich keine dunkle Silhouette, kein Schlitten darin ab. Die Hunde klangen hingegen, als hätte der Schlitten mich fast erreicht.
Und dann sah ich sie. Sie hatten helles Fell. Weiß auf Weiß. Kein Wunder, dass ich sie nicht erkannt hatte.
Erst war ich wie zu Eis gefroren. Dann jedoch löste ich mich aus meiner Starre und begann mit beiden Armen zu winken. Anfangs zögerlich, dann stärker. „Hallo!“, rief ich. „Der Sturm … Ich hab mich verirrt. Können Sie mir sagen, in welche Richtung es ins Dorf geht?“
Ich hörte, wie ein Mann den Hunden einen Befehl zurief. Sofort wurden sie langsamer. Trotzdem ging ich einige Schritte beiseite, um ihnen nicht im Weg zu stehen.
Jetzt hatten sie mich fast erreicht. Ungläubig sah ich mit an, wie acht weiße Huskys neben mir zum Stehen kamen. Ihr Gespann, das Holz, die Felle und sogar die Seile waren weiß. Oder waren sie nur von Schnee und reif bedeckt?
Mein nächster Blick galt dem Schlitten. Es war einer dieser großen Hundeschlitten für den Transport, auf denen man nicht die ganze Zeit stehen musste. Auch er war weiß gestrichen. Das war jedoch nicht mein Hauptaugenmerk. Nein. Das galt dem Mann, der auf dem Schlitten saß. Ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Er hielt eine weiße Peitsche in der Hand. Und sogar die Felle, die ihn von Kopf bis Fuß umhüllten, waren reinweiß … Genau wie bei Ol‘ Smoker.
Ich schluckte, versuchte, ruhig zu bleiben. Als der Mann jedoch von seinem Schlitten stieg, sich zu seiner vollen Größe aufrichtete, gingen meine Nerven mit mir durch. Ich wirbelte herum und rannte ins Dickicht zwischen den Bäumen.
Hier war der Schnee deutlich tiefer. Fast sofort sackte ich ein. Nun steckte ich bis über die Knie im Schnee. Eisige Kälte fraß sich durch meine Hose. Aber das ließ mich nicht innehalten. Langsam und unbeholfen arbeitete ich mich voran. Ich schob den Schnee mehr, als dass ich hindurch stapfte. Jeder Schritt war unglaublich anstrengend.
Als ich jedoch einen Blick über die Schulter warf, krampfte sich mein Magen zusammen. Es fühlte sich an, als habe mir jemand in den Bauch geboxt. Der Mann, der weiß gekleidete Schlittenführer, hatte ebenfalls den Weg verlassen. Er stapfte mir mit großen Schritten nach.
Das war der Moment, als in mir vollends die Panik ausbrach. Ich schrie um Hilfe, kreischte, während ich versuchte, schneller voranzukommen.
Tiefer und tiefer kämpfte ich mich in den Wald vor. Allmählich verlor ich das Gefühl in den Beinen. Der Wind wurde unterdessen immer stärker. Selbst meine dicke Jacke konnte mich nicht mehr gegen seine beißende Kälte schützen. Was ich dafür getan hätte, mich nur einen Augenblick hinzusetzen, mich auszuruhen.
Noch ehe ich jedoch ernsthaft darüber nachdenken konnte, nahmen meine Beine mir die Entscheidung ab. Sie waren inzwischen so kalt, dass sie sich steif und ungelenkig anfühlten. Ich verlor das Gleichgewicht, merkte, wie mein Oberkörper nach vorne kippte. Aber ich schaffte es dank des Schnees nicht, ein Bein vorzureißen, um den Sturz zu verhindern. Mit ausgestreckten Armen kippte ich in die Kälte. Ich spürte, wie sich Schnee zwischen Handschuhen und Jacke in meine Ärmel schob.
Jetzt war ich umgeben von Eis und Kälte. Mein Kopf war unter der Oberfläche. Mein Gesicht brannte vor Schmerz. Ich weiß nicht, ob ich jemals so gefroren hatte. Selbst bei einer kalten Dusche hatte ich mich noch nie so unterkühlt gefühlt.
Trotzdem schaffte ich es nicht, mich aufzurappeln. Es war, als wäre sämtliche Kraft aus meinem Körper gewichen. Vielleicht sollte ich einfach aufgeben. Ich könnte hier liegenbleiben. Nur für eine Minute …
Ich spürte den kräftigen Arm kaum, der mich aus dem Schnee hob, sah nur verschwommen, wie die Welt um mich herum sich bewegte, nahm nur am Rande meines Bewusstseins wahr, wie Ol‘ Smoker mich zurück zu seinem Schlitten trug. Er warf mich in einen Haufen aus weißen Fellen. Der Befehl, den er seinen Hunden zurief, kam mir weit entfernt vor. Dann setzte der Schlitten sich in Bewegung.
Ich blieb erschöpft zwischen den Fellen liegen. Fast schämte ich mich dafür, wie geborgen ich mich fühlte. Langsam kehrte die Wärme zurück. Ich spürte sogar meine Beine wieder, auch wenn sie nur aus Schmerz zu bestehen schienen.
Aber so gemütlich es auch war, ich konnte hier nicht bleiben. Das wusste ich. Also rappelte ich mich vorsichtig auf. Es war alles andere als einfach auf dem weichen Untergrund, während der Schlitten unregelmäßig hin und her schaukelte, meine Beine noch immer zitterten. Aber ich schaffte es. Gerade, als ich mich aus dem Schlitten in den Schnee stürzen wollte, packte mich jedoch eine Hand am Oberarm. Ich hatte unterschätzt, wie nahe Ol‘ Smoker mir tatsächlich saß.
„Bleib sitzen“, brummte er mit tiefer Stimme, während er mich in die Felle zurückdrückte.
Und das tat ich. Ich fühlte mich völlig hilflos, war mir nicht einmal sicher, ob meine zittrigen Beine es ein zweites Mal geschafft hätten, aufzustehen. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich konnte nichts dagegen tun. Wahrscheinlich waren sie der Grund, warum ich die bunten Lichter nicht gleich erkannte, denen wir uns jetzt schnell näherten.
Erst, als ich mir die Tränen aus den Augen gewischt hatte, bemerkte ich, dass es Weihnachtsdekoration war. Sie hing an den Häusern, über der Straße und an einem großen Weihnachtsbaum, den ich deutlich in der Ferne erkennen konnte. Das war unser Dorf!
Ungläubig sah ich mit an, wie wir ihm näher und näher kamen. Erst, als wir es fast erreicht hatten, rief der Schlittenführer wieder einen Befehl und die Hunde wurden langsamer. Wir blieben neben Miss Walshs Gemischtwarenladen stehen.
Schnell versuchte ich wieder, mich aufzurappeln. Aber der Fremde gab bloß ein Brummen von sich, stieg aus dem Schlitten und hob mich auf seine Arme. Mit schweren Schritten stapfte er Richtung Laden. Er drückte die Tür mit seiner Schulter auf und trat mit mir ein.
„Na das muss ja dringend sein, wenn Sie sich bei dem Wetter nach draußen wagen!“, hörte ich Miss Walshs Stimme. In ihr schwang ein Hauch Belustigung mit. „Also, was kann ich für Sie …“ Sie brach ab. Wahrscheinlich hatte sie mich bemerkt. „Du meine Güte! Olivia!“
„Kümmern Sie sich um sie“, brummte der Fremde. Er trug mich zu einem Stuhl, der eigentlich zum Verkauf stand, und setzte mich auf das dünne Polster.
Halbherzig lächelte ich Miss Walsh an. „Hey“, grüßte ich sie schwach.
Aber sie reagierte gar nicht. Sie starrte bloß mit offenem Mund den Fremden an. Oder besser gesagt den Ort, wo der Fremde hätte sein müssen. Als ich mich zu meinem Retter umdrehte, war er verschwunden.
Vorsichtig richtete ich mich auf, um besser sehen zu können, doch bis auf Walsh und mich war der Gemischtwarenladen menschenleer. Auf dem Boden waren nicht einmal nasse Fußabdrücke.
—
Ihr könnt euch meine Verwirrung sicher vorstellen. Miss Walsh erklärte sogar, dass der Mann sich einfach in Luft aufgelöst habe.
Wie war das möglich? War er tatsächlich Ol‘ Smoker gewesen? Der Geist, der zu Lebzeiten so bösartig gewesen war? Aber warum hatte er mich dann ins Dorf zurückgebracht?
Zum Glück hatte Miss Walsh dafür eine Erklärung. Denn wie ich schon sagte, hatte mein Bruder mir nicht die ganze Geschichte vom Phantom Trapper of Labrador erzählt. Nach seinem Tod, so erklärte Miss Walsh, soll Ol‘ Smoker nämlich der Zutritt zum Jenseits verwehrt geblieben sein.
Seitdem wandelt seine ruhelose Seele auf unserer Erde, um die Schuld, die er im Leben auf sich geladen hatte, wieder gutzumachen. Er warnt die Menschen vor schlimmen Schneestürmen und bringt sie sogar manchmal zurück in Sicherheit. Ich konnte also von Glück reden, dass der Geist des Verbrechers mich gefunden hatte, sonst wäre ich in jener Nacht wahrscheinlich erfroren.
Bleibt auf dem neusten Stand und folgt mir auf:
Die Legende:
The Phantom Trapper of Labrador (englisch für „Der Phantom-Fallensteller von Labrador“), manchmal auch The Trapper’s Ghost („Der Geist des Fallenstellers“) genannt, ist eine kanadische Legende über einen phantomhaften Fallensteller auf einem Hundeschlitten. Sie ist die wahrscheinlich bekannteste Geistergeschichte der kanadischen Provinz Neufundland und Labrador.
Der Geist ist auch unter den Namen „Smoker“ („Raucher“) und „Ol‘ Smoker“ (Kurzform für „Old Smoker“, „alter Raucher“) bekannt.
Aussehen:
Der Phantom Trapper of Labrador soll wie ein gewöhnlicher Mensch aussehen. Abgesehen von seiner etwas eigenartigen Kleidung, die ausschließlich aus weißen Fellen bestehen soll, sieht man ihm also nicht an, dass es sich bei ihm um einen Geist handelt.
Außerdem soll er auf einem weißen Komatik – dem traditionellen Hundeschlitten der Inuit, der in Kanada auch heute noch oft genutzt wird – sitzen, der von mehreren schneeweißen Huskys gezogen wird. Die Anzahl der Huskys kann je nach Geschichte variieren, es ist jedoch meist von einer geraden Zahl zwischen 8 und 14 die Rede.
Die rein weiße Erscheinung des Fallenstellers soll im Schnee nur schwierig zu erkennen sein – besonders, wenn es dunkel ist und/oder es einen Schneesturm gibt.
Außerdem heißt es, dass weder seine Hunde noch er oder sein Schlitten Spuren im Schnee hinterlassen.
Eigenschaften:
Hauptsächlich wird der Phantom Trapper of Labrador nur akustisch wahrgenommen. So hört man das Knallen einer Peitsche oder das Bellen von Hunden im Wind. Meist soll dies geschehen, kurz bevor ein Schneesturm aufkommt. Die Erscheinung des Fallenstellers warnt also die Bewohner vor einem bevorstehenden Sturm.
Seltener kommt es vor, dass man den weißen Fallensteller auf seinem Schlitten sehen soll. Oft verlieren die Augenzeugen die im Schnee gut getarnte Gestalt aber schnell wieder aus den Augen. Auch hier soll kurz darauf ein heftiger Schneesturm aufkommen.
Das ist jedoch nicht das Einzige, was der Phantom Trapper of Labrador tut. Er warnt die Leute nicht nur, es gibt auch Erzählungen, in denen er Menschen vor einem Tod im Schnee gerettet hat.
So soll es bereits vorgekommen sein, dass der Fallensteller verirrte Hundeschlittenführer zurück in die Zivilisation geführt hat. In den meisten Fällen sieht hierbei ein Bewohner den Hundeschlitten ankommen. Der Geisterschlitten, dem der Schlittenführer angeblich gefolgt sei, wurde von dem Bewohner hingegen nicht gesehen, obwohl er direkt an ihm vorbeigefahren sei.
Eine andere Version der Legende besagt, dass eine Person – Geschlecht und Alter kann dabei variieren – sich in einem Schneesturm verlaufen hat. Geschwächt und völlig unterkühlt wird sie von einem in weiße Fälle gekleideten Mann auf einem weißen Hundeschlitten aufgelesen und in den nächsten Ort gebracht. Dort habe das Phantom ihn oder sie in ein Wirtshaus o. Ä. getragen und bei dem Kamin auf einen Stuhl gesetzt. Nachdem es den Wirt darum gebeten habe, sich um die Person zu kümmern, soll es sich in Luft aufgelöst haben.
Lebensraum/Vorkommen:
The Phantom Trapper of Labrador soll fast ausschließlich in der Provinz Neufundland und Labrador in Kanada gesichtet werden, von wo die Legende stammt.
Ursprung:
Über den genauen Ursprung der Legende ist nicht viel bekannt. Es gibt aber einige Theorien darüber, wer der geisterhafte Fallensteller zu Lebzeiten gewesen sein soll.
Die wohl verbreitetste Version besagt, dass er einst ein krimineller Fallensteller mit dem Namen Esau Gillingham gewesen sei. Über Esau Gillinghams Leben gibt es wiederum verschiedene Versionen. Die zwei bekanntesten möchte ich euch hier kurz vorstellen:
Der unsympathische Fallensteller:
Dieser Version zufolge war Gillingham ein talentierter Fallensteller, der bei seinen Besuchen in den Städten und Dörfern die schönsten Felle mitbrachte, um sie den Bewohnern zu verkaufen.
Das war auch der einzige Grund, warum er in den Orten geduldet wurde. Gillingham soll nämlich ein ziemliches Arschloch gewesen sein. U. A. soll er hitzköpfig gewesen sein, keine Manieren gehabt und Frauen schlecht behandelt haben.
Nachdem er seine Felle verkauft und sein Geld in den Tavernen versoffen hat, wurde er deshalb kurz darauf wieder aus den Dörfern vertrieben.
Der erfolglose Fellhändler:
Auch in dieser Version soll Gillingham sein Geld mit dem Verkauf von Fellen verdient haben. Er war dabei jedoch bei Weitem nicht so erfolgreich, weshalb er in Armut lebte.
Eines Tages soll er jedoch genug Geld angespart haben, um sich davon eine eigene Destille kaufen zu können. Von dort an – so heißt es – habe er seinen eigenen Alkohol destilliert: Ein scheußliches Gebräu aus Kiefernzapfen, Zucker und Hefe, das unter dem Namen „Smoke“ bekannt geworden sei. Daher stamme auch sein Spitzname „Smoker“ bzw. „Ol‘ Smoker“.
Gillingham soll das billige Gesöff illegal an die Bewohner verkauft und so deutlich mehr Geld als mit seinen Fellen verdient haben. Dass der selbstgebraute Alkohol verdammt ungesund war und sogar bei einigen Leuten zu Wahnsinn oder Blindheit geführt haben soll, war Gillingham und seinen Kunden anscheinend egal.
Irgendwann wurde Gillinghams Destille jedoch im Wald gefunden und – entweder von den Behörden oder einigen wütenden Anwohnern – zerstört. Gillingham landete daraufhin ein Jahr lang im Gefängnis.
Das Jahr im Knast hat Gillingham aber keinesfalls zu einem besseren Menschen gemacht. Als er wieder frei ist, besorgt er sich weiße Huskys, streicht seinen Schlitten weiß an und kleidet sich fortan nur noch in weiße Felle, um sich im Schnee zu tarnen.
Auch soll er seine Destille weiß gefärbt und ein weißes Fass voller Smoke an seinem Schlitten befestigt haben, um es unter die Leute zu bringen.
Das Ende des Fallenstellers:
Die genaue Todesursache von Gillingham ist unbekannt. Es gibt aber auch hier verschiedene Theorien, was geschehen sein könnte.
Manchmal heißt es, der Ehemann einer der schlecht behandelten Frauen habe ihn erschossen. Manchmal sei er in einem Schneesturm umgekommen oder auf andere Weise ermordet worden. Und wieder andere Male sei er an seinem eigenen Alkohol verendet.
Ich habe auch davon gelesen, dass er in der Wildnis gestürzt sein soll, wobei er sich den Rücken brach und qualvoll gestorben sei.
Aber wie er auch gestorben ist, nach seinem Tod wurde ihm der Zugang zu Himmel und Hölle verwehrt. Er soll als Geist auf der Erde bleiben, um von nun an seine schlechten Taten wiedergutzumachen, indem er verirrten Menschen hilft und sie vor Schneestürmen warnt.
Alternativer Ursprung:
Es gibt aber auch Leute, die behaupten, die Legende von Ol‘ Smoker sei bereits vor Esau Gillinghams Tod entstanden. Zwar habe ich keine Hinweise auf einen tatsächlichen Verbrecher mit dem Namen finden können, der im 19. oder 20. Jahrhundert in Kanada gelebt haben soll, ihnen zufolge sei die Geistergeschichte aber erst nach Gillinghams Tod mit ihm in Verbindung gebracht worden.
Ich möchte an dieser Stelle jedoch gestehen, dass mir gerade die Zeit für eine wirklich tiefgreifende Recherche zu diesen Behauptungen fehlt (zumal ich fast nichts dazu finden konnte). Sollte ich den Beitrag in Zukunft überarbeiten, werde ich aber versuchen, mehr darüber in Erfahrung zu bringen.
The Phantom Trapper of Labrador in der Popkultur:
Obwohl es zu Ol‘ Smoker viele Legenden gibt und er in Neufundland und Labrador sehr bekannt sein soll, habe ich nur wenige Auftritte des Geistes in der Popkultur gefunden.
So gibt es den Roman „White Eskimo: A Novel Of Labrador“ (Englisch für „Weißer Eskimo: Ein Roman über Labrador“, 1972), der zwar nicht von dem Geist direkt, dafür aber von einer fiktiven Version von Esau Gillingham handelt.
Außerdem gibt es das Lied „The Labrador Trapper’s Ghost“ („Der Geist des Fallenstellers aus Labrador“) von der Singer Songwriterin Emily Stewart (hier der Link zum Lied auf bandcamp.com), das die Legende nacherzählt.
Was haltet ihr von The Phantom Trapper of Labrador? Kanntet ihr die Legende bereits? Wie hättet ihr an Olivias Stelle reagiert? Hättet ihr versucht, zu fliehen oder den Fremden um Hilfe gebeten? Schreibt es in die Kommentare!
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Was haltet ihr von The Phantom Trapper of Labrador? -eine interessante Legende auf jedenfall. viel Hintergrund, interessante „Backstory“ und ein cooles „Ende“ der Legende, mit dem verwähren des jenseits
Kanntet ihr die Legende bereits? -die Legende nicht, aber sie errinert mich an ein paar andere Legenden wie Jack o’lantern oder der Pfeifer (diese Gestalt die Angst vor Hunden haben soll, und die Gebeine ihrer opfer mit dem Sack um sich trägt)
Wie hättet ihr an Olivias Stelle reagiert? Hättet ihr versucht, zu fliehen oder den Fremden um Hilfe gebeten? – so gesehen, auch wenn es ein Geist ist, ist es womöglich meine einzige Überlebenschance in der situation, könnte ja immernoch ein echter Mensch oder ein verkleideter sein können
geschichte wieder top, ich glaube dies gehört nun mit zu meinen lieblingslegenden