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Tokoloshe Zeichnung von Jeremie Michels. Das Bild zeigt das Fußende eines Bettes, in dem zwei Füße zu sehen sind, du unter einer dünnen blauen Decke hervorragen. Hinter dem hölzernen Fußteil steht ein kleines dunkelhäutiges Wesen mit weißen Augen, spitzen Zähnen und Ohren sowie einem Loch in der Stirn, das sich auf das Bett zu ziehen scheint.

Tokoloshe – Lass ihn nicht aufs Bett!

Der Tokoloshe ist eines der bekanntesten Wesen des südafrikanischen Volksglaubens. Da ich schon länger vorhabe, mal wieder über eine afrikanische Legende zu schreiben, habe ich mich für den Tokoloshe entschieden, ehe es in zwei Wochen mit winterlichen/weihnachtlichen Geschichten weitergeht.

Viel Spaß beim Gruseln!

Triggerwarnungen

– Gewalt gegen Jugendliche
– häusliche Gewalt
– erwähnung Sexueller gewalt (erst unter „Die Legende“)

Die Geschichte:

Es war eine dieser Nächte, in denen ich partout nicht einschlafen konnte. Ich wälzte mich im Bett hin und her, drehte mich auf die linke Seite, dann auf die rechte. Aber was ich auch versuchte, wie ich mich auch hinlegte, ich konnte einfach nicht in die Welt der Träume eintauchen.

Trotzdem versuchte ich es weiter. Immerhin musste ich morgen in die Schule. Da wollte ich wenigstens einigermaßen ausgeschlafen sein.

Ich hatte mich gerade wieder mit dem Gesicht zur Wand gedreht, da hörte ich, wie sich meine Zimmertür öffnete.

Sofort schlug ich die Augen auf. Außer mir war nur Pa im Haus. Und wenn er um die Uhrzeit in mein Zimmer kam, dann nur, weil er wieder zu viel getrunken hatte.

Ich drehte mich langsam zu ihm um. Aber als ich gerade fragen wollte, was los sei, blieben mir die Worte im Hals stecken. Das war nicht mein Vater. Eine kleine, kindergroße Gestalt stand dort im Halbdunkel bei der geöffneten Tür und sah mich aus seinen kleinen Augen an.

Zuerst dachte ich noch, es wäre vielleicht ein Pavian, der sich irgendwie ins Haus geschlichen hat. Dann jedoch rannte das Wesen auf mich zu. Es war kein Pavian. Seine Bewegungen, wie es auf zwei Beinen lief, wirkten menschlich. Außerdem konnte ich es inzwischen besser erkennen. Es hatte kein Fell, sondern dunkle, schrumpelige Haut. Sein Gesicht, die Nase und Ohren, der haarlose Kopf. Es wirkte wie ein Mensch. Und zwischen seinen Lippen sah ich schiefe gelbe Zähne hervorblitzen, die ungewöhnlich spitz aussahen. Ich wusste sofort, was es war: Das war eindeutig ein Tokoloshe.

„Pa!“, brachte ich endlich hervor. „Paaa!“, rief ich erneut nach meinem Vater.

Das Haus war ziemlich hellhörig. Wenn er wach war, musste er mich gehört haben. Doch im Haus blieb alles ruhig.

Inzwischen hatte der Tokoloshe mein Bett fast erreicht. Ich drückte mich mit dem Rücken an die Wand und zog die Knie an die Brust. „Hilfe! Hilfeee!“, schrie ich jetzt aus voller Lunge.

Dann endlich tat sich etwas. Aus dem Flur kam ein Poltern. Dann ein Fluchen. „Scheiß Schrank“, hörte ich Pa lallen. Er war also tatsächlich betrunken. Trotzdem war er mir hundertmal lieber als ein schwarzmagisch beschworenes Wesen.

„Hilfe!“, schrie ich erneut. Inzwischen war ich dabei, nach dem Tokoloshe zu treten, um ihn daran zu hindern seinen kleinen Körper auf die Matratze zu ziehen. Mein Fuß klatschte gegen kalte Haut, ehe ich ihn schnell wieder zurückzog. Wer wusste schon, was das Ding mit mir anstellen würde, wenn er mich tatsächlich erreichte.

Und das versuchte es mit aller Kraft. Die Matratze reichte ihm bis knapp über die Brust. Seine kleinen Augen waren auf mich fixiert, sein Mund leicht geöffnet. Immer wieder versuchte es, sich in den Stoff zu krallen und seinen Körper auf die Matratze zu hieven, während ich panisch nach seinen Armen trat.

Plötzlich ging die Deckenlampe an. „Was ist los?“, lallte Pa in meine Richtung. Er musste sich an der Tür festhalten, lehnte sich daran, während sie unter seinem Gewicht langsam vor und zurück schwang.

Der Tokoloshe wandte ihm den Kopf zu. Er gab einen leisen Aufschrei, eher schon ein hohes Keuchen von sich, ehe er auf Pa zurannte. Der jedoch schien das Wesen gar nicht zu bemerken, während es an ihm vorbei in den Flur flitzte.

Schwer atmend saß ich auf meinem Bett. Noch immer hatte ich die Knie an die Brust gezogen. Auch merkte ich jetzt, wie ich beide Hände in die Bettdecke gekrallt hatte. Vorsichtig löste ich den Griff.

„Also? Was ist? Wieso störst du mich beim Fernsehen?“

Jetzt sah ich wieder Pa an. „Hast du ihn nicht gesehen? Er ist eben an dir vorbeigerannt!“

„Wen gesehen?“, fragte er. Er sah sich im Raum um, ohne die Tür loszulassen.

„Den Tokoloshe!“, brüllte ich. Es war keine Absicht. Ich wollte Pa nicht anschreien. Aber die Verzweiflung in mir musste raus.

Pas Augen verengten sich zu schlitzen. Jetzt torkelte er auf mich zu. „Hör zu, Jan. Solange du in meinem Haus wohnst, verbitte ich mir, dass du mich anschreist! Vielleicht muss ich dich dran erinnern, wer hier das Sagen hat …“

Wieder presste ich mich gegen die Wand. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. „Nein. Bitte“, flehte ich. „Du hast das Sagen. Das weiß ich. Aber da war ein Tokoloshe. Er wollte mich angreifen.“ Ich wollte vor Pa nicht weinen, aber ich konnte nichts dagegen tun.

Pa hingegen blieb nur wenige Schritte vor meinem Bett stehen. Er schüttelte den Kopf, schwankte gefährlich nach links und rechts. „Ich bin froh, dass deine Ma nicht mehr mitbekommen hat, was aus dir geworden ist.“ Er wandte sich ab, ehe er zurück zur Tür torkelte. „Verdammte Teenager“, hörte ich ihn zu sich selbst lallen. „Es wird Zeit, dass er endlich alt genug wird, damit ich ihn rausschmeißen kann.“ Dann war er wieder im Flur verschwunden und schloss die Tür hinter sich.

Ich schluckte schwer, während ich ihm nachsah. „Nein, Pa“, murmelte ich. „Was ist nur aus dir geworden.“

Der Tokoloshe kam in dieser Nacht nicht zurück, aber wie ihr euch sicher vorstellen könnt, hatte ich sämtliches Interesse daran verloren, wieder einzuschlafen. Und so dauerte es Stunden, meine Gedanken kreisten um das Wesen und um Pa, bis die Müdigkeit mich endlich einholte und in einen viel zu kurzen Schlaf zog.

Am nächsten Morgen schlürfte ich völlig übermüdet in die Küche. Pa saß bereits da und trank Kaffee.

„Morgen“, grüßte ich ihn.

Er sah fast genauso beschissen aus, wie ich mich fühlte. Trotzdem sah ich darin eine Gelegenheit, ihn noch einmal auf den Tokoloshe anzusprechen, während er nüchtern war.

„Tut mir leid, wegen letzter Nacht“, begann ich. „Aber ich hab da wirklich etwas gesehen. Da war ein kleiner Mann mit schwarzer schrumpeliger Haut. Er hat versucht, auf mein Bett zu klettern.“

Pa seufzte schwer. „Jan, es gibt keine Tokoloshe. Was auch immer du glaubst, gesehen zu haben, du hast bloß geträumt.“ Es war zwecklos. Pa hatte noch nie an das Übernatürliche geglaubt.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. „Ma hätte mir geglaubt“, sagte ich leise.

Jetzt kniff Pa wieder seine Augen zusammen. „Was hast du gesagt?“, fragte er streng.

„Nichts“, sagte ich schnell. „Sorry, ich bin einfach nur tierisch müde.“ Ich hatte keine Lust auf Streit. Zumal ich wusste, wie es ausgehen konnte. In der Schule hatte ich schon oft genug blaue Flecken unter langer Kleidung verstecken müssen.

Pa ging nicht weiter darauf ein. Also machte ich mir mein Frühstück und beeilte mich, aus dem Haus zu kommen.

Der Tag in der Schule verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ich hatte nicht viele Freunde, also verbrachte ich die meiste Zeit allein. Aber das war in Ordnung. Solange die anderen mich in Ruhe ließen, störte mich das nicht. Und für gewöhnlich taten sie das.

Erst, als ich nach der Schule auf dem Heimweg war, überkam mich wieder ein mulmiges Gefühl. Was, wenn der Tokoloshe zurückkommen würde? Ich hatte keine Ahnung, was passiert wäre, wenn Pa nicht in mein Zimmer gekommen wäre.

Also entschied ich, unserer Sangoma – der Heilerin unseres Dorfes – einen Besuch abzustatten. Sie war eine gute Freundin von Ma gewesen, daher kannte ich sie schon aus Kindertagen. Außerdem lag ihr kleines Geschäft ganz in der Nähe meines Heimwegs.

Eine kleine Glocke über der Ladentür kündigte mich an, während ich den Laden betrat. Mir schlug ein erdiger Geruch entgegen. An der Decke hingen Blätter und Sträucher zum Trocknen und vor mir, in einem Regal an der Wand standen Flaschen mit allerlei Tinkturen und anderen Flüssigkeiten.

Es gab auch eine Apotheke in unserem Dorf, aber für viele Leute war Thandeka noch immer die erste Anlaufstelle für medizinische Probleme.

„Ah, Jan“, grüßte mich eine kleine schwarze Frau mit luftiger Kleidung. Sie trug ein rotes Tuch in den Haaren, das oben zu einem eleganten Knoten gebunden war. „Es ist lange her. Wie geht es deinem Vater?“

Sofort senkte ich den Kopf zu einem knappen Gruß. „Guten Tag Gogo“, grüßte ich sie mit der förmlichen Anrede für weibliche Sangomas.

Thandeka lachte. Es erinnerte mich an die Glocke über ihrer Tür. „Ach bitte, Jan, sag doch Thandeka zu mir. Immerhin sind wir alte Freunde.“ Sie zwinkerte mir zu.

Das zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Dann jedoch erinnerte ich mich an den Grund meines Besuchs und mein Gesicht wurde wieder ernst. „Ich brauche deine Hilfe. Ich wurde letzte Nacht von einem Tokoloshe besucht, aber Pa glaubt mir nicht. Er meint, dass ich bloß geträumt hätte.“

Thandeka ging um den Tresen, hinter dem sie stand, um sich mir gegenüberzustellen. Obwohl ich erst 15 war, musste ich leicht den Kopf senken, um ihr in die Augen zu sehen. „Und was denkst du?“, fragte sie. „Kann es ein Albtraum gewesen sein?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Ich war hellwach. Er ist aus dem Zimmer gerannt, als Pa mir zur Hilfe geeilt ist. Aber er hat den Tokoloshe nicht gesehen, obwohl er an ihm vorbeigelaufen ist.“

Thandeka nickte wissend. „Manche Tokoloshe können nur von ihren Opfern gesehen werden. Ich möchte dir keine Angst machen, aber wenn du wirklich einen Tokoloshe gesehen hast, kann es sein, dass du verflucht wurdest. Das ist eine ernste Angelegenheit. Am besten sollte ich einige Schutzrituale in eurem Haus durchführen.“

Ich sah sie mit großen Augen an. „Nein, bitte“, sagte ich schnell. „Pa glaubt nicht an Tokoloshes. Er würde das nicht wollen. Gibt es keine andere Möglichkeit?“

Thandeka sah mich überrascht an, ehe sie sanft lächelte. „Jan, vielleicht warst du noch zu jung, um dich daran zu erinnern, aber dein Vater war vor vielen Jahren selbst bei mir, damit ich mich um einen Tokoloshe in eurem Haus kümmere. Ich bin sicher, er wird es verstehen.“

Jetzt blickte ich zu Boden. Ich erinnerte mich gut daran. Er hatte mich grün und blau geschlagen, mir dabei den Arm gebrochen, und die Tat schließlich einem Tokoloshe angehängt.

„Wenn du möchtest“, fuhr Thandeka fort, „bringe ich dich das kurze Stück nach Hause. Dann kann ich mit deinem Vater reden.“ Sie griff sanft nach meinem Arm, um mich zur Tür zu begleiten.

Aber ich blockte ab. „Nein!“, sagte ich ein Stück zu energisch. „Nein“, wiederholte ich dann ruhiger. „Bitte. Das damals war kein Tokoloshe. Nach Mas Tod hat Pa mit dem Trinken angefangen. Er versteckt es gut, aber wenn er betrunken ist, wird er oft gewalttätig. Ich hatte mich nicht benommen und da hat er … Er hat …“ Mehr brachte ich nicht hervor. Noch nie zuvor hatte ich mit irgendwem darüber geredet. Ich hatte nicht gewagt, es laut auszusprechen, also sah ich Thandeka nun mit feuchten Augen an.

An ihrer entsetzten Miene sah ich, dass sie verstanden hatte. Mein Vater hatte mich krankenhausreif geschlagen. Anschließend brachte er mich zu Thandeka und erzählte, dass ich von einem Tokoloshe angegriffen wurde, damit sie sich um meine Wunden kümmerte, ohne dass er dafür in Schwierigkeiten geriet.

„Oh, Jan“, sagte Thandeka. Sie legte mir eine Hand auf die Schulter. „Das wusste ich nicht. Tut mir leid. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann …?“ Sie sah mich fragend an.

Ich schenkte ihr ein schiefes Lächeln und zuckte mit den Schultern. „Kannst du mir irgendwie gegen den Tokoloshe helfen, ohne dass Pa es mitbekommt?“

Schnell nickte sie. „Natürlich. Das einfachste Mittel gegen einen Tokoloshe ist, das Bett zu erhöhen. Sie können nicht sonderlich gut klettern. Viele Leute legen Ziegelsteine unter die Bettfüße. Aber ein paar dicke Bücher gehen auch. Und wenn ihn das nicht vertreibt, kannst du eine Linie aus Salz auf die Türschwelle und vor die Fenster streuen. Da kommt er nicht vorbei.“

Ich strahlte Thandeka an. Damit konnte ich auf jeden Fall arbeiten. „Danke, Tante Thandeka“, sagte ich.

Nun strahlte auch sie. Tante Thandeka. So hatte ich sie als Kind immer genannt, weil sie eine so gute Freundin meiner Ma war. „Lass dich gerne wieder häufiger hier blicken“, sagte sie, während sie sanft meine Schulter drückte. „Und sollte es mit dem Tokoloshe noch irgendwelche Probleme geben, komm gerne jederzeit vorbei.“

Das Gespräch mit Thandeka war inzwischen drei Tage her. Und was soll ich sagen? Das Bett mit einigen Büchern zu erhöhen, hatte geholfen. Der Tokoloshe kam so nicht mehr an mich heran. Dafür stand er jetzt nachts in meinem Zimmer und starrte mich an. Eine kleine dunkle Gestalt, die mitten im Raum stand. Manchmal hörte ich ihn leise atmen. Dass meine Nächte seitdem nur noch aus sehr wenig Schlaf bestanden, muss ich euch wohl nicht erklären.

Erst hatte ich noch gehofft, dass das Ding irgendwann das Interesse verlieren würde, wenn es mir nicht mehr schaden konnte. Stattdessen wartete es jedoch Nacht für Nacht geduldig in meinem Zimmer. Was, wenn ich einmal nachts auf Toilette musste? Oder wenn ich einschlief und zu nah an die Bettkante geriet? Wenn es einen Arm oder ein Bein zu packen bekam. Nein. So konnte es nicht weitergehen. Also ging ich zu Thandekas anderer Idee über: dem Salz.

Ich streute damit je eine dünne Linie auf sämtliche Fensterbänke sowie auf die Türschwelle der Haustür und zu meinem Zimmer. Meine Hoffnung war, dass Pa es in seinem berauschten Zustand nicht bemerken oder es zumindest ignorieren würde. Das ging nach hinten los.

Während ich im Bett lag – obwohl es schon lange dunkel war, fehlte von dem Tokoloshe noch immer jede Spur – hörte ich plötzlich aus dem Haus ein lautes Poltern. Kurz darauf fluchte mein Vater.

„Verdammte Scheiße!“, schimpfte er lauthals. „Was ist das für ein Scheiß? Jan!“

Stapfende Schritte näherten sich meinem Zimmer. Im Flur vor meiner Tür polterte irgendetwas. Erneutes Fluchen. Dann flog meine Zimmertür auf.

„Was zum …!?“ Pa musste das Salz auf meiner Türschwelle entdeckt haben. „Ist das auf deinem Mist gewachsen?“, schrie er mich an. Ich konnte seine Fahne bis hier riechen.

Ehe ich etwas sagen, mich verteidigen konnte, fuhr er fort. „Findest du das etwa lustig? Ich bin darauf ausgerutscht. Ich hätte sterben können!“

Im nächsten Moment flog auch schon seine Bierflasche. Es kam so unerwartet, dass ich nicht ausweichen konnte. Sie traf mich mitten im Gesicht, knapp unter dem rechten Auge.

Sofort bedeckte ich die Stelle mit meinen Händen. Mein Gesicht bestand nur noch aus pochenden Schmerzen. Ich kauerte weinend auf dem Bett, während Pa auf mich zukam. Aber während ich noch schützend meinen Kopf von ihm wegdrehte, damit seine Schläge nur meinen Rücken trafen, griff er lediglich nach seiner Bierflasche und verließ damit das Zimmer. Ich blieb zitternd und weinend auf meinem Bett zurück.

Am nächsten Tag schmerzte meine rechte Gesichtshälfte. Im Badezimmer sah ich, dass ich ein blaues Auge hatte. Ich ging ohne Frühstück noch vor der Schule wieder zu Thandekas Geschäft.

„Jan, was ist passiert?“, fragte sie entsetzt, als ich den Laden betrat. „War das der Tokoloshe?“

Ich schüttelte den Kopf. In wenigen Worten berichtete ich, was passiert war.

Thandeka holte sofort ein Kühlpack, das ich mir auf das Auge legen sollte. Sie sah mich mit einer Mischung aus Mitleid und Verzweiflung an. Ich sah ihr an, dass sie mir helfen wollte. „Jan, ich …“ Sie zögerte. „Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit. Es wird nicht einfach, aber … Komm nach der Schule noch einmal in den Laden, ja? Gegen 17 Uhr?“

Und das tat ich. Nach der Schule – dort erzählte ich, dass ich unglücklich gestürzt sei – stand ich um Punkt 17 Uhr wieder vor Thandekas Geschäft. An der Tür hing ein Schild, dass Thandeka gleich zurück sei. Ich trat trotzdem ein. Die Ladenglocke klingelte über mir.

Im Geschäft selbst war alles wie immer. Von Thandeka fehlte jedoch jede Spur. Stattdessen saß eine Frau auf einem Stuhl in der Ecke. Ihre Haut war dunkel und sie trug offene Dreadlocks, ein weißes T-Shirt und eine Jeans. Irgendwie kam sie mir bekannt vor.

„So“, sprach sie mich an, während sie sich langsam erhob. „Du hast also ein Problem mit einem Tokoloshe?“ Irgendetwas an ihr war mir unheimlich.

Mein Mund war plötzlich sehr trocken. Ich brachte nur ein Nicken hervor.

„Und warum denkst du, dass ich ausgerechnet dir helfen sollte?“, fragte sie. „Nach allem, was deine Familie mir angetan hat?“

Ich schluckte schwer. „Was … meine Familie Ihnen angetan hat?“, wiederholte ich.

Die Frau antwortete nicht. Stattdessen strich sie sich mit einer von langen schwarzen Fingernägeln besetzten Hand ihre Locks über das rechte Ohr. Darunter kam eine längliche Narbe zum Vorschein.

Und da fiel mir wieder ein, woher ich sie kannte. „Oh“, sagte ich knapp. „Sie sind Lindiwe, richtig?“

Die Frau nickte langsam, während sie mir tief in die Augen starrte.

Sie hatte früher in unserem kleinen Örtchen gewohnt. Das war jedoch, bevor sie von den anderen Bewohnern vertrieben wurde. Es hieß damals, dass sie eine Hexe sei und einen Tokoloshe beschworen hätte.

Aber das Schlimmste: Es war Pas schuld gewesen. Seine Lüge über meine Verletzungen, über den angeblichen Tokoloshe, waren der Grund, warum sie nicht mehr bei uns leben durfte. Ein wütender Mob hatte sie und ihre Tochter bedroht und aus unserem Dorf vertrieben. Wenn ich mich richtig erinnere, kam die Narbe an ihrer Schläfe von einem Stein, den ihr Nachbar nach ihr geworfen hatte.

„Also? Warum sollte ich ausgerechnet dir helfen?“, wiederholte sie.

Ich schluckte schwer. „Es … Es tut mir leid. Was man Ihnen und Ihrer Tochter angetan hat, war nicht richtig. Aber es war nicht meine Schuld. Es war mein Dad. Er … Er hat die Geschichte mit dem Tokoloshe erfunden, um meine Verletzungen zu erklären. Sie müssen wissen, er hat mir den Arm gebrochen. Ich … Bitte, ich kann nichts dafür. Ich möchte doch nur wieder ruhig schlafen können“, sprudelten die Worte nur so aus mir hervor.

Lindiwe kniff die Augen zusammen. Sie kam auf mich zu. Ein süßliches Parfum schwang in ihrer Bewegung mit. Ich unterdrückte den Drang, zurückzuweichen, während sie mir ihren Zeigefinger an das Kinn legte und damit vorsichtig meinen Kopf hob, um mir in die Augen zu sehen.

Die folgenden Sekunden kamen mir wie eine Ewigkeit vor. Ich merkte, wie mein Atem ungewöhnlich schnell ging, während sie mich eingehend musterte, als wolle sie irgendetwas in meinen Augen lesen.

Dann plötzlich ließ sie mein Kinn los und trat einen Schritt zurück. „Also gut. Du hast Recht. Dich trifft keine Schuld. Immerhin warst du noch ein Kind. Mein Tokoloshe wird dir keine nächtlichen Besuche mehr abstatten.“

Ihr Tokoloshe? Also war sie wirklich eine Hexe?

Ehe ich sie darauf ansprechen konnte, nahm sie jedoch eine schwarze Lederjacke, die mir bisher nicht aufgefallen war, von einem Stuhl und verließ damit den Laden. Das Klingeln der Glocke sollte noch lange in meinem Kopf nachhallen.

War das gerade wirklich passiert? Es kam mir zu einfach vor. Doch die Frau, Lindiwe, sollte recht behalten. Der Tokoloshe ließ mich fortan in Ruhe. In der folgenden Nacht lag ich mehrere Stunden wach, ohne dass irgendwer – oder irgendetwas – mein Zimmer betrat. Neues Salz hatte ich keines gestreut.

Dafür weckten mich mitten in der Nacht plötzlich Schreie. Verwirrt sah ich zur Uhr. 02:07 Uhr. Was war da los?

Ohne weiter darüber nachzudenken, sprang ich aus meinem Bett und rannte in den Flur. Die Schreie kamen aus Pas Schlafzimmer. Schnell öffnete ich die Tür.

Pa saß an die Rückenlehne gepresst, die Beine an seine Brust gezogen. Er atmete schwer und starrte in den leeren Raum.

„Pa!“, rief ich. „Was ist? Was ist los?“

Jetzt sah er mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Da … Da war ein Tokoloshe! Er wollte mich angreifen!“, sagte er laut. In seiner Stimme schwang Alkohol mit.

Für einen Moment sah ich ihn nur an. Die Hexe hatte ihr Wort gehalten. Sie hatte mich von ihrem Fluch befreit … und ihn auf Pa übertragen. Meine Gedanken rasten.

Dann jedoch setzte ich ein Lächeln auf. Ich schüttelte den Kopf. „Pa, du hast geträumt“, sagte ich. „Es gibt keine Tokoloshe.“

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Die Legende:

Der Tokoloshe, auch Tokkelo oder Tikoloshe genannt, ist ein koboldartiges Wesen der Zulu Folklore in Südafrika.

Aussehen:

Für das Aussehen der Tokoloshes gibt es sehr verschiedene Beschreibungen. Sie sind aber immer unter einen Meter groß, koboldartig und haben oft tierische Eigenschaften.

Generell sollen sie wie ein kleiner Mensch aussehen mit meist schwarzer, oft verschrumpelter Haut oder Fell sowie manchmal mit langen Ohren und/oder einem Tierschwanz.

Außerdem habe ich teilweise von spitzen und/oder gelben Zähnen gelesen.

Darüber hinaus haben sie oft einen Nagel oder ein Loch davon in der Stirn, der wohl für ihre Beschwörung genutzt wird. (Über das Ritual, mit dem man einen Tokoloshe beschwören kann, habe ich jedoch nichts finden können.)

In einigen Versionen sollen sie auch einen sehr langen Penis haben. In einer Quelle habe ich sogar davon gelesen, dass sie ihn über die Schulter werfen müssen, damit er nicht am Boden schleift.

Eigenschaften:

Im Normalfall muss ein Tokoloshe beschworen werden – meist wird das einer Hexe oder einem Hexendoktor zugeschrieben, seltener den Sangoma, wie in Südafrika die Heiler genannt werden. Die Tokoloshes werden dadurch zu ihren Dienern und machen alles, was die Person, die sie erschaffen hat, von ihnen verlangt.

Das kann je nach Quelle von körperlicher Arbeit über Diebstahl bis hin zu sexuellen Handlungen reichen.

Häufig werden Tokoloshes jedoch eingesetzt, um anderen Personen zu schaden. In diesen Fällen sucht der Tokoloshe nachts seine Opfer heim. Dabei sind die Tokoloshes oft unsichtbar – inwieweit sie sich unsichtbar machen können, ist aber umstritten. So habe ich davon gelesen, dass sie entweder nur von ihren Opfern oder nur von Kindern gesehen werden können, andere Male davon, dass sie sich nur unsichtbar machen können, indem sie z. B. einen speziellen Stein haben, den sie bei sich tragen oder herunterschlucken.

Was genau der Tokoloshe mit seinen Opfern macht, kann sehr unterschiedlich sein. So greift er sie manchmal körperlich an, indem er sie z. B. beißt, schlägt oder kratzt, oder er vergewaltigt sie sogar. Dem Tokoloshe kann so ziemlich alles Negative zuschreiben werden, das den Opfern widerfährt – sei es, dass er sie krank macht, für Unglück sorgt, ihre Beziehung ruiniert oder seine Opfer tötet.

Man kann sich jedoch recht einfach gegen Tokoloshes verteidigen: Aufgrund ihrer Körpergröße haben sie Schwierigkeiten, Menschen auf hohen Betten zu erreichen. Man muss also nur sein Bett höher stellen – oft wird dies gemacht, indem man die Bettfüße auf Ziegelsteine stellt.

Eine andere effektive Methode soll Salz sein, das man auf die Türschwelle und vor die Fenster streuen kann. Ich habe sogar spezielles Tokoloshe-Salz und Tokoloshe-Öl von südafrikanischen Anbietern gefunden, das gegen die Monster helfen soll.

Will man hingegen auf Nummer Sicher gehen und den Tokoloshe endgültig loswerden, wird dazu geraten, dass man sich an einen Sangoma wendet.

Lebensraum/Vorkommen:

Da die Legende der Tokoloshes aus Südafrika stammt, sollen sie hauptsächlich in Südafrika sowie seltener in angrenzenden Ländern vorkommen.

Theoretisch wäre ein Tokoloshe aber überall auf der Welt möglich, sofern jemand ihn dort beschwört oder ihn dorthin mitnimmt.

Ursprung:

Als möglicher Ursprung für den Tokoloshe werden die früheren Lebensbedingungen der Menschen in den ländlichen Regionen Südafrikas genannt. In diesen Regionen sollen die Menschen früher – besonders in kalten Nächten – auf dem Boden (bzw. auf Matratzen auf dem Boden) nahe von Feuerstellen geschlafen haben.

Wenn es dabei unzureichende Durchlüftung gab, kann es sein, dass sich in dem Zimmer zu viel Kohlendioxid gesammelt hat. Da Kohlendioxid schwerer ist als Luft, ist es zu Boden gesunken und hat dafür gesorgt, dass die Menschen, die am Boden schliefen, erstickt sind. Da andere Menschen auf erhöhten Betten verschont geblieben waren, ist man wahrscheinlich davon ausgegangen, dass ein kleines Wesen, das nicht auf die Betten klettern kann, an den Toden schuld ist: Die Legende des Tokoloshe war geboren – zumindest, wenn man dieser Theorie glaubt.

Aber wie die Legende auch entstanden sein mag, Fakt ist, dass der Glaube an die Tokoloshes in Südafrika noch immer weit verbreitet ist. Sie werden sogar regelmäßig in Zeitungen wie der Daily Sun erwähnt.

Leider ist dadurch jedoch ein ganz anderes Problem entstanden: Da die Tokoloshes oft als Grund für unerklärliche Verletzungen, sexuellen Missbrauch oder mysteriöse Schwangerschaften genannt werden, bieten sie den Tätern eine einfache Methode, sich selbst von der Schuld zu befreien, indem sie den Wesen die Schuld zuschieben. So kommt es leider durchaus vor, dass kein gewalttätiger Ehemann, sondern ein Tokoloshe für die Verletzungen einer Ehefrau verantwortlich gemacht wird, oder nicht etwa der Onkel, sondern ein Tokoloshe für eine unerklärliche Schwangerschaft eines Teenagers.

Außerdem habe ich auf Zoutnet, einer südafrikanischen Nachrichtenseite, von einem Fall gelesen, bei der eine Frau von ihrer Gemeinde beschuldigt wurde, einen Pavian zu einem Tokoloshe gemacht zu haben, der daraufhin mehrere Frauen vergewaltigt habe. Es hat sich so weit zugespitzt, dass eines Tages ein wütender Mob zu ihrem Haus gewandert ist, um sie umzubringen. Dazu kam es zwar nicht, aber ihr Ruf und der ihrer Familie hat auch nach dem Vorfall sehr darunter gelitten.

Aber zum Glück bringt der Glaube an das Wesen nicht nur Schattenseiten mit sich. Er kann auch Opfern von körperlicher oder sexueller Gewalt dabei helfen, über ihre Erlebnisse zu sprechen und so die entsprechende medizinische Behandlung zu erhalten, die, wenn sie den Täter beim Namen nennen müssten, nie über den entsprechenden Vorfall geredet hätten.

Tokoloshe in der Popkultur:

Der Tokoloshe hat diverse Auftritte und Erwähnungen in der Popkultur. So gibt es z. B. den südafrikanisch-französischen Thrillerfilm „A Reasonable Man“ (Englisch für „Ein vernünftiger Mann“, 1999), der auf einem echten Fall basiert, bei dem ein Vater seinen Sohn umgebracht hat, in dem Glauben, dass es sich bei ihm um einen Tokoloshe handelt.

Außerdem gibt es diverse Horrorfilme über die Kreatur wie z. B. „Blood Tokoloshe“ („Blut Tokoloshe“, 2013), „The Tokoloshe“ (2018) oder „Tokoloshe: The Calling“ („Tokoloshe: Die Berufung“, 2020) sowie diverse Romane wie z. B. den Fantasyroman „Tokoloshe Song“ (2014) von Andrew Salomon oder das Monster-Fighting-Manga „Tokoloshe Hunters“ („Tokoloshe Jäger“, 2026) von Bill Masuku.

Was haltet ihr von dem Tokoloshe? Wie hättet ihr an Jans Stelle reagiert, als er den Tokoloshe gesehen hat und als sein Vater ihm nicht geglaubt hat? Schreibt es in die Kommentare!

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