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The Char-Man Zeichnung von Jeremie Michels. Das Bild zeigt einen halbnackten Mann mit schweren Verbrennungn. Er hat weder Haare noch Augenbrauen und starrt die Betrachtenden wütend an, während er sich an einen Baum stützt. Seine braune Hose hat Brandflecken, unter denen Bandagen zu sehen sind. Außerdem trägt er Bandagen am Bauch, an der Brust und am rechten Arm. Im Hintergrund ist ein Wald zu sehen, der in Flammen steht.
The Char-Man (2023)

The Char-Man

The Char-Man ist mein erster Beitrag des Jahres. Ich hoffe, ihr hattet schöne Feiertage und seid gut ins neue Jahr gekommen. Bevor es mit der Geschichte losgeht, habe ich aber noch eine Ankündigung zu machen: Ich habe jetzt ein Patreon! Wenn ihr mich dort für 2 € im Monat unterstützt, könnt ihr all meine Beiträge eine Woche früher lesen. Außerdem habe ich noch einige andere Belohnungen in Planung.

In dem Sinne möchte ich mich bei meinen ersten drei Patrons bedanken: Vielen Dank AnA, Ralf und Namenloses_Etwas, dass ihr mich unterstützt!

Jetzt möchte ich euch aber nicht länger aufhalten, ehe ihr euch mit Linda und Charly ins Ojai Valley begebt.

Viel Spaß beim Gruseln!

Triggerwarnungen

– Tod
– explizite Darstellung körperlicher Gewalt
– Krankheit: Krebs

Die Geschichte:

Schweigend fuhr Charly mit mir die dunkle Straße entlang. Straßenlaternen gab es hier keine mehr. Um genau zu sein, hatte ich keine Laterne mehr gesehen, seit wir die Innenstadt von Ojai verlassen hatten. Die einzigen Lichter kamen von den Autoscheinwerfern, von den wenigen Häusern an denen wir gelegentlich vorbeifuhren und von den Sternen, die hell am Himmel über uns funkelten.

Vor wenigen Tagen noch, als Charly und ich uns auf unsere Reise quer durch Amerika aufgemacht hatten, hatte ich meinen Blick nur schwer vom Nachthimmel lösen können. Für ein Stadtmädchen wie mich bot er mit seinen zahlreichen Sternen hier draußen einen nahezu magischen Anblick. Heute jedoch waren meine Augen fest auf die Bäume und Büsche gerichtet, die an uns vorbeizogen. Heute wollte ich keine einzige Bewegung am Straßenrand verpassen.

Es dauerte nicht lange, bis Charly langsamer wurde. Eine Schranke, an der mehrere Schilder hingen, die uns mitteilten, dass die Straße hier endete, hinderte uns am Weiterfahren. Dahinter ging der Asphalt in einen breiten Dreckweg über: die Shelf Road. Wir hatten unser Ziel erreicht.

Charly rollte bis ganz an die Schranke heran, ehe er den Wagen parkte und den Motor ausschaltete. Als er keine Anstalten machte, sich weiter zu bewegen, und mich bloß erwartungsvoll ansah, lehnte ich mich zu ihm rüber, griff hinter das Lenkrad und schaltete die Scheinwerfer aus. Das zuckersüße Lächeln, das ich ihm anschließend zuwarf, konnte er nicht mehr sehen. Wir saßen jetzt in fast völliger Dunkelheit.

Was mir auch auffiel, war die vollkommene Stille, die sich über uns gelegt hatte. Jetzt, wo der Motor aus war, waren die einzigen Geräusche, die ich hörte, Charlys und mein Atmen. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken. So wenig Geräusche hatte es in der Stadt nie gegeben.

„Und jetzt?“, fragte Charly in die Dunkelheit.

„Jetzt warten wir“, erwiderte ich.

Während meine Augen sich noch an die Dunkelheit gewöhnten, war ich bereits dabei, mein Aufnahmegerät aus meiner Handtasche zu kramen. Aus reiner Gewohnheit kontrollierte ich die Akkuabdeckung, ehe ich es mit einem leisen Piep einschaltete.

Charly verstand sofort, was ich vorhatte. Er kramte sein Smartphone heraus, tippte ein paarmal darauf herum, wartete einige Sekunden und legte es schließlich mit dem Bildschirm zu uns gerichtet auf das Armaturenbrett. Darauf erkannte ich die zwei vertrauten, waagerechten Linien und die kleine Zeitanzeige, die am oberen Bildschirmrand die Sekunden zählte.

„Test. Test“, sagte ich. Gleichzeitig schlugen die beiden Linien aus und zeigten an, dass das Gerät aufnahm.

Inzwischen hatte ich mich weit genug an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich sehen konnte, wie Charly mir aufmunternd zunickte. Dann fing ich an:

„Hey Leute! Danke, dass ihr eingeschaltet habt und willkommen zu einer neuen Folge Visiting Paranormal. Der Podcast, wo wir, Charly und Linda, uns auf die Suche nach dem Übernatürlichen machen. Heute sind wir im Ojai Valley, Kalifornien. Der Ort, wo nachts der gefürchtete Char-Man sein Unwesen treiben soll.

Aber wer oder was ist der Char-Man eigentlich? Ist er wirklich so gefährlich, wie alle sagen? Und wie ist die Legende überhaupt entstanden?

Dazu gibt es verschiedene Theorien. Die meisten davon findet man auch im Internet, aber hier in Ojai sind sich die Leute relativ einig:

Alles begann im Jahr 1948. Damals hat ein schlimmer Waldbrand das Ojai Valley komplett verwüstet. Die Leute taten alles, um das Feuer in Schach zu halten und ihre Familien und Freunde in Sicherheit zu bringen. Dabei vergaßen sie jedoch eine abgeschiedene Hütte im Wald, die hier ganz in der Nähe gestanden haben soll. Ein Vater und sein Sohn, die damals in der Hütte wohnten, wurden von dem Feuer völlig überrascht. Sie sollen bei lebendigem Leibe gebrannt haben. Aber während der Sohn es gerade so mit schlimmsten Verbrennungen nach draußen schaffte, verlor sein Vater in den Flammen sein Leben.

Einige sagen sogar, dass der Vater noch eine Weile gelebt haben soll, nachdem er von den Flammen im Haus eingeschlossen wurde. Seine Hilferufe müssen schrecklich für seinen Sohn gewesen sein, aber er schaffte es nicht, ihn zu retten.

Man weiß nicht genau, ob es daran, an den unsäglichen Schmerzen oder an einer Kombination aus beidem lag, aber der Sohn soll daraufhin wahnsinnig geworden sein.

Als die Bewohner von Ojai es schließlich zu seinem Haus schafften, um zu helfen, fanden sie nur seinen Vater. Sein Sohn hat ihn mit den Füßen nach oben an einem Baum aufgehängt und gehäutet. Er hat die verbrannte Haut einfach abgezogen.

Natürlich wurde sofort die Polizei eingeschaltet, aber als sie den nahegelegenen Wald durchkämmten, stürmte der Sohn plötzlich auf sie zu. Seine Haut war völlig verkohlt. Der Gestank nach verbranntem Fleisch soll so überwältigend gewesen sein, dass die Polizisten würgen mussten. Er floh in den Wald, wo die Polizei seine Spur schließlich verloren hat.

Seitdem, seit über 70 Jahren, wurde der Mann immer wieder in dieser Gegend gesehen. Er soll nachts Wanderer angegriffen und gegen die Scheiben von parkenden Autos geschlagen haben. Unter Kindern und Jugendlichen wurde er schnell unter dem Namen Char-Man bekannt, weil seine Haut noch immer verbrannt und verkohlt aussehen soll.

Aber obwohl viele Leute ihn fürchten, bin ich mir inzwischen nicht mehr so sicher, ob der Char-Man wirklich das Monster ist, für das ihn alle halten. Bevor ich mehr über meine Theorie verrate, wird Charly euch aber erst die Interviews vorspielen, die er mit den Einwohnern von Ojai gemacht hat.“

Ich drückte erneut den Knopf auf meinem Aufnahmegerät und mit einem erneuten Piep schaltete sich das Gerät ab. Erst jetzt bemerkte ich Charlys erhobene Augenbraue.

„Du glaubst nicht, dass er ein Monster ist? Linda, die Einwohner haben teilweise Todesangst vor ihm!“

Ich sah Charly eine ganze Weile nur an. Eigentlich hatte ich geplant, dieses Gespräch erst vor dem Mikrofon zu führen, damit seine Reaktion unverfälscht ist. Andererseits hatten wir gerade eh nichts Besseres zu tun. Wenn wir eh darauf warten mussten, dass der Char-Man an unser Auto klopfte, konnten wir die Zeit auch mit sinnvollen Gesprächen totschlagen.

„Du hast die Leute doch selbst interviewt“, begann ich. „Kein einziger von ihnen hat gesagt, dass der Char-Man jemals jemanden verletzt hat. Das Schlimmste, was wir gehört haben, war, dass jemandem die Jacke entrissen wurde. Und ausgerechnet das hat sich auch noch als dummer Jugendstreich rausgestellt. Wenn der Char-Man wirklich böse Absichten hätte, meinst du, er hätte in seinen 74 Jahren nicht mindestens jemanden verletzt?“

Charly kaute auf seiner Unterlippe, während er nachdachte. „Und was ist mit seinem Vater?“

„Der war schon tot. Du kennst doch die Legende: Er ist im Feuer umgekommen.“

„Er hat ihn gehäutet und aufgeknüpft!“

„Ja, nachdem er völlig verbrannt war. Vielleicht hatte er gar keine bösen Absichten. Niemand hat je seine Version der Geschichte gehört. Bis jetzt.“ Ein fast siegessicheres Grinsen umspielte meine Lippen.

Charly hingegen sah mich fassungslos an. Er verstand sofort. „Du willst den Char-Man interviewen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Warum nicht? Unsere Zuhörerzahlen gehen durch die Decke, wenn er tatsächlich mit uns redet.“

Von neuem Tatendrang gepackt, schnallte ich mich ab. Dann öffnete ich die Autotür.

„Linda, was wird das!?“, fragte Charly entsetzt. Zufrieden hörte ich, wie auch er sich abschnallte und aus dem Auto stieg.

„Was wohl? Wir gehen den Char-Man suchen“, sagte ich, während ich die Tür hinter mir zuschlug. „Oder denkst du wirklich, dass er ausgerechnet hier vorbei kommt und an unser Auto klopft?“

„J-ja“, erwiderte er verdutzt. „So besagt es zumindest die Legende. Und was ist, wenn er doch gefährlich ist?“

„Dann sind wir immer noch zu zweit. Und er ist allein. Außerdem muss der Char-Man inzwischen über 80, wahrscheinlich sogar schon über 90 sein. Was soll er uns schon anhaben?“, fragte ich, während ich eine Taschenlampe aus meiner Handtasche holte. Sie war deutlich heller als meine Handytaschenlampe.

An Charlys Gesichtsausdruck sah ich, dass er alles andere als überzeugt war. Trotzdem gab er keine weiteren Widerworte, holte auch seine Taschenlampe und folgte mir in die Dunkelheit.

Wir waren bereits einige Minuten unterwegs. Schweigend gingen wir nebeneinander her, während der steinige Boden der Shelf Road unter unseren Füßen unablässig knirschte. Gleichzeitig schwenkte ich die Taschenlampe nach links und rechts, um ja keine Bewegung zwischen den Bäumen zu übersehen. Meine andere Hand umklammerte fest das Aufnahmegerät.

Charly hingegen ging stocksteif neben mir. Er bemühte sich, den Weg vor uns auszuleuchten und achtete peinlich genau darauf, nicht zu nahe an die unheimlichen Büsche am Rand des Weges zu geraten. Seine ganze Körpersprache schrie, dass ihm unwohl zumute war.

Ich wünschte, ich hätte ihm ein Teil meines Bauchgefühls abgeben können. Keine Ahnung, wieso, aber ich spürte, dass ich recht hatte: Der Char-Man war in Wirklichkeit nichts weiter als ein zwar etwas eigensinniger, aber völlig harmloser Mann, der fürchterlich missverstanden wurde.

„Meinst du nicht, wir hätten lieber zur Creek Road fahren sollen?“, unterbrach Charly plötzlich die Stille. „Immerhin gab es da die meisten Sichtungen.“

Ich schüttelte den Kopf. „Unsere Recherche hat ergeben, dass sein Haus hier in der Nähe gestanden haben soll. Was soll er also auf der Creek Road suchen? Die ist am anderen Ende der Stadt.“

„Schon, aber vielleicht ist er weitergezogen. Die meisten Leute wollen ihn nunmal dort gesehen haben.“

Ich wollte gerade etwas erwidern, als es plötzlich zu unserer Linken raschelte. Charly und ich fuhren gleichzeitig herum. Ich konnte gerade noch sehen, wie ein Teil des Gebüschs zitterte. Dann war es wieder ruhig.

„Hallo?“, versuchte ich es zaghaft. „Ist jemand da? Wenn Sie der Char-Man sind, wir wollen bloß mit Ihnen sprechen.“

Dann kam mir plötzlich eine andere Idee. Es gab das Gerücht, dass man ihn anlocken konnte, indem man nach Hilfe rief. Das solle ihn an die Hilfeschreie seines Vaters erinnern oder irgendetwas in die Richtung.

Ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken, war ich auch schon dabei: „Hilfe!“, rief ich leise. Dann lauter: „Hilf mir!“

„Linda, bist du bekloppt?!“, fragte Charly entsetzt. „Es wohnen Leute hier ganz in der Nähe!“

Ich zuckte mit den Schultern. Eine Antwort kam mir jedoch nicht mehr über die Lippen, da sich genau in diesem Moment etwas bewegte. Es kam aber nicht aus dem Gebüsch, sondern von dem Dreckweg direkt hinter uns.

Wieder wirbelten Charly und ich herum. Ich wollte meinen Augen kaum trauen: Es war der Char-Man. Daran gab es für mich keinen Zweifel. Er hatte keine Haare auf dem Kopf oder im Gesicht. Stattdessen war seine Haut an mehreren Stellen geschmolzen. Obwohl das Feuer schon ewig her war, sah sie noch immer blutig und geschwärzt aus. Es sah so aus, als wäre er gerade erst aus den Flammen gekommen. Und dann war da noch seine Kleidung: Sie war lumpig und alt. Trotzdem konnte ich an vielen Stellen noch Bandagen erkennen, mit denen er vor langer Zeit seine Wunden versorgt haben musste.

Aber was mich stutzig machte: Der Char-Man war direkt hinter uns gewesen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er uns schon verfolgte.

Charly ergriff sofort die Flucht. Er sprintete in einem großen Bogen um den Mann herum, dessen gesamte Aufmerksamkeit mir galt.

„Charly! Warte!“, rief ich noch, aber es war zwecklos. Außerdem hatte ich gerade wichtigere Dinge zu tun. „Sie sind der Char-Man, oder? Dürfte ich Ihnen vielleicht ein paar Fragen stellen?“

Stille. Er stand fast reglos da und starrte mich an. Ein kalter Wind raschelte durch die Blätter und brachte mich zum Frösteln. Gleichzeitig trug er einen Gestank zu mir rüber, der mir fast den Magen umdrehte. Es stank nach verbranntem Fleisch.

Trotz allem unterdrückte ich ein Würgen und setzte ein Lächeln auf. „Sie müssen keine Angst vor mir haben“, fuhr ich unbeirrt fort. „Ich weiß, dass Sie kein böser Mann sind. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich das Gespräch aufnehme? Dann können Sie all den Menschen da draußen sagen, wer der gefürchtete Char-Man wirklich ist.“

Ich hielt mein Aufnahmegerät hoch, tat einen Schritt auf ihn zu, um es ihm aus der Nähe zu zeigen. Das war ein Fehler.

Schneller, als ich es einem Mann in seinem Alter und Zustand zugetraut hätte, rannte der Mann plötzlich auf mich zu. Er packte mich am rechten Arm, den ich ihm immer noch entgegenhielt.

Seine Berührung war rau und warm. So warm, als würde das Feuer, dass ihm all das angetan hatte, noch immer in ihm weiterlodern.

„Au! Sie tun mir weh!“, schrie ich, während ich erfolglos versuchte, mich loszuwinden.

Er hatte mein Handgelenk so fest gepackt, als wolle er es zerquetschen. Dann schnellte seine andere Hand auf meinen Hals zu. Ich wich zurück, doch der Ruck, mit dem er an meinem Handgelenk zerrte, brachte mich ins Straucheln. Im nächsten Moment spürte ich die warme Berührung an meinem Hals.

„B-bitte!“, keuchte ich. Jetzt musste ich wirklich würgen, ich wusste aber nicht, ob es an dem intensiven Gestank lag, oder an dem Druck, den er auf meinen Hals ausübte.

Jetzt wehrte ich mich mit Leibeskräften. Da ich meinen rechten Arm nicht losreißen konnte und es auch nicht schaffte, mich von seinem Würgegriff zu befreien, schlug ich mit der anderen Hand, in der ich die Taschenlampe hielt, nach seinem Arm, versuchte, ihn zur Seite zu drücken, als ich plötzlich merkte, wie sich ein Fetzen Fleisch löste. Er rutschte unter meinem Druck einfach weg, wie das lose Fleisch an einem gebratenen Hähnchen.

Die Übelkeit in mir war unbeschreiblich. Hätte der Char-Man mir nicht komplett den Hals zugedrückt, hätte ich mich wohl an Ort und Stelle übergeben.

Allmählich wurde mir schwindelig. Noch immer versuchte ich, mich zu wehren, aber es war so, als fehlte meinen Schlägen jegliche Kraft. Ich spürte nichts von dem angeblichen Adrenalinschub, den viele Leute in solchen Situationen beschrieben.

Der Char-Man starrte mich dabei die ganze Zeit aus seinen wahnsinnigen Augen an. Zwei helle Flecken inmitten seiner verkohlten Haut. Ich bekam kaum mit, wie mir die Taschenlampe aus der Hand rutschte. Ich hörte bloß das dumpfe Knirschen, als sie auf den Kies fiel.

Dann plötzlich war ich frei. Ich spürte, wie der feste Griff um meinen Hals und meinen Arm abrupt aufhörte. Sofort beugte ich mich nach vorne und hustete, ehe ich gierig die kalte Nachtluft einsog.

„Was machst du denn? Jetzt lauf endlich!“ Das war Charly. Erst jetzt erkannte ich, dass er mich gerettet hatte. Er musste dem Char-Man seine Taschenlampe über den Kopf gezogen haben. Das würde ihn jedoch nicht lange aufhalten.

Ich sah bereits jetzt, wie sich das Monster wieder aufrappelte.

„Renn! Renn!“, rief Charly. Er packte mich am Handgelenk, um mich mit sich zu zerren. Ich leistete keinen Widerstand.

Schnell hasteten wir den Weg entlang. Ich versuchte dabei, auf Schritte hinter uns zu achten, aber das Knirschen unserer eigenen Schuhe und das Hämmern in meinem Kopf übertönten alles andere.

Dafür kamen wir schnell voran. Es dauerte nicht lange, bis die weiße Schranke und unser Auto in Sicht kamen. Wir sprinteten sofort zu den Türen.

Flüchtig warf ich einen Blick zurück, doch in der Dunkelheit konnte ich nichts Auffälliges entdecken. Dann war das Auto offen. Hastig sprangen wir hinein, zogen die Türen zu und verriegelten sie von innen. Ein Klimpern mischte sich unter unser Keuchen.

„Fuck!“, fluchte Charly. Er bückte sich sofort, um seine Schlüssel aus dem Fußraum aufzuheben.

Plötzlich donnerte etwas auf unser Auto.

Erst konnte ich es nicht erkennen, aber als sich eine verkohlte Hand an unsere Windschutzscheibe drückte, war es eindeutig: Der Char-Man hatte uns eingeholt. Er hockte auf unserer Motorhaube und versuchte alles in seiner Macht Stehende, um unsere Windschutzscheibe einzuschlagen.

Wumm! Wumm!‘, ertönten seine Schläge gegen das Glas.

„Charly!“, schrie ich entsetzt!

„Ich hab ihn schon! Ich hab ihn schon!“, antwortete er genauso panisch, während er sich aufsetzte und mit dem Schlüssel im Zündschloss stocherte.

Knack! Ein Riss zog sich durch die Scheibe.

Ich merkte erst, dass Charly den Motor gestartet hatte, als er den Rückwärtsgang einlegte. Ein schneller Tritt aufs Gas und die dunkle Gestalt vor uns wurde vom Auto gerissen.

Mein Herz machte einen kurzen Aussetzer, als Charly sich sofort daran machte, den Wagen zu wenden. Wieso war er nicht noch ein Stück weiter rückwärts gefahren!?

Doch zum Glück blieb ein weiterer Angriff aus. Sobald der Wagen in die richtige Richtung zeigte, trat Charly das Gaspedal durch, bis wir in sicherer Entfernung waren.

Wir fuhren auf direktem Weg zum Ojai Police Department. Aber auch, wenn sich sofort einige Polizisten auf den Weg machten, nachdem sie unsere Erklärung gehört und den Schaden an unserem Auto gesehen hatten, blieb ihre Suche erfolglos. Abgesehen von meiner Taschenlampe und einigen Spuren, die auf einen Kampf hindeuteten, konnten sie nichts finden. Der Char-Man war im Schutz der Dunkelheit verschwunden.

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Die Legende:

The Char-Man (englisch für „der Kohle-Mann“) ist eine urbane Legende aus der Gegend um die Kleinstadt Ojai in Kalifornien, USA. Sie handelt von einem entstellten Mann, der in den Wäldern des Ojai Valley sein Unwesen treiben soll.

Aussehen:

Der Char-Man ist ein schrecklich entstellter Mann, der am ganzen Körper schwere Verbrennungen haben soll. Manchmal wird ihm auch nachgesagt, unmenschlich auszusehen und ein an ein Tier erinnernde Züge zu haben.

Seine Kleidung besteht aus teilweise zerfetzten Bandagen und/oder lumpigem Stoff.

Alternativ wird selten in neueren Erzählungen davon berichtet, dass sein Körper noch immer brennen soll, wenn er auftaucht. In diesen Versionen kann man ihn bereits aus der Ferne an einem orangenen Leuchten zwischen den Bäumen erkennen.

Entstehung:

Der Legende nach hat ein Mann gemeinsam mit seinem Vater in einer einsamen Hütte im Wald des Ojai Valley gelebt, als 1948 ein schlimmer Waldbrand ausgebrochen ist. Viele Häuser sind dem Brand zum Opfer gefallen, darunter auch die Hütte.

Der Vater hat die Flammen nicht überlebt. Der Sohn hingegen konnte sich zwar retten, hat aber schlimme Verbrennungen davon getragen. Es heißt, dass er durch die Schmerzen wahnsinnig geworden sei.

Wegen des Chaos, das das Feuer verursacht hat, hat es mehrere Tage gedauert, bis die ersten Menschen nach dem Vater und seinem Sohn sehen wollten. Bei den Überresten ihrer Hütte machten sie jedoch eine fürchterliche Entdeckung: Sie fanden die Leiche des Vaters gehäutet und an einem Baum aufgehängt vor. Der Sohn hat ihn dort hingehängt und seine verbrannte Haut abgezogen.

In alternativen Versionen hat er in dem Feuer beide Eltern, seinen Bruder oder seine Ehefrau verloren.

Andere Entstehungsgeschichten erzählen davon, dass er ein Feuerwehrmann war, der bei der Arbeit schwere Verbrennungen erlitten hat, oder, dass er in einem brennenden Auto eingesperrt war, ehe er sich retten konnte.

Eigenschaften:

Angeblich lebt der Char-Man allein im Wald und kommt nur nachts oder frühstens während der Dämmerung heraus, um sich auf die Suche nach Wandernden oder Leuten, die in ihren parkenden Autos sitzen, zu machen.

Er verfolgt sie und versucht, in ihre Autos einzudringen, indem er gegen die Scheibe donnert. Angeblich soll er vorhaben, sie umzubringen. Viele Leute behaupten, dass er seine Opfer häuten würde, wie er es damals bei seinem Vater getan habe.

Trotzdem habe ich keine einzige Erzählung gefunden, in der er seine Opfer tatsächlich umgebracht oder auch nur verletzt hat. Sie sind ihm ausnahmslos entkommen, auch wenn es einige Vorfälle gab, bei denen er einem Opfer z. B. die Jacke entreißen konnte (mehr dazu unter „Ursprung“).

Um genau zu sein, wird der Char-Man in der Gegend um Ojai zwar gefürchtet, es ist aber eher eine beliebte Mutprobe unter Kindern und Jugendlichen, den Mann herbeizulocken. Eine Möglichkeit dafür ist es, ein Auto am Straßenrand der Creek Road oder auf der Char Man Bridge zu parken, wo man den Motor und die Scheinwerfer ausschalten muss. Wenn man lange genug wartet, so heißt es, soll der Char-Man auftauchen und mit aller Kraft versuchen, in das Auto einzudringen.

Eine andere Möglichkeit, ihn anzulocken, ist es, indem man im Wald oder bei der Brücke laut „Help!“ („Hilfe!“) oder „Help me!“ („Hilf mir!“) ruft. Das soll ihn an die Hilfeschreie seines Vaters (oder eines anderen Familienmitglieds) erinnern, wodurch man ihn herbeilocken kann.

Möchte man hingegen vermeiden, dem Char-Man zu begegnen, reicht es aus, wenn man nur tagsüber in den Wald geht oder sich in größeren Gruppen bewegt, da er große Menschengruppen meiden soll.

Eine weitere Eigenschaft hat der Char-Man erst in neueren Erzählungen bekommen: Während es früher eindeutig gewesen war, dass der Char-Man ein Mensch war, der das Feuer überlebt hat, gibt es inzwischen neue Theorien. Immerhin ist der Char-Man nach über 70 Jahren noch immer aktiv und sitzt nicht in einem Altenheim. Daher heißt es immer häufiger, dass er entweder ein Geist sei oder seine unbändige Wut ihn selbst im hohen Alter noch antreibt.

Lebensraum/Vorkommen:

Der Char-Man kommt fast ausschließlich in der Nähe von Ojai, einer Kleinstadt in Kalifornien, vor.

Besonders häufig soll er dabei auf der Creek Road bei der nach ihm benannten Char Man Bridge oder im Camp Comfort Park gesichtet werden.

Ursprung:

Obwohl es den großen Brand im Ojai Valley 1948 tatsächlich gab, gibt es von damals kein einziges verzeichnetes Opfer. Er wurde dem Char-Man erst später als Entstehungsgeschichte angedichtet.

In Wirklichkeit ist die Legende des Char-Man nämlich erst in den 1960er Jahren entstanden. Damals berichteten einige Kinder davon, einen entsetzlich entstellten Mann an der Shelf Road gesichtet zu haben.

Als die Sichtungen sich häuften, schickte die Polizei schließlich eine Streife in die Gegend. Und tatsächlich fanden sie ihn. Es war ein Mann, der schwer an Hautkrebs erkrankt war. Die Krankheit war so fortgeschritten, dass sie zu Missbildungen in seinem Gesicht und eines Armes geführt hat. Wegen seiner Entstellungen lebte er zurückgezogen und verließ nur nachts das Haus, um mit seinem Hund spazieren zu gehen, wo er einige Male von Kindern und Jugendlichen gesehen wurde. Als die Polizei die Sichtungen aufklären konnte, war der Char-Man aber schon in aller Munde.

Mit seiner steigenden Beliebtheit hatte er auch seinen Namen und seine Hintergrundgeschichte bekommen, die ihn mit dem Brand von 1948 in Verbindung gebracht hat.

Aber auch, wenn die Legende sich daraufhin bereits gut verbreitet hatte, gab es noch ein zusätzliches Ereignis, das die Legende anfeuerte:

Im Sommer 1967 trafen sich einige Jugendliche im Wald, um den Char-Man herbeizurufen. Wie die Legende es forderte, begannen sie um Hilfe zu rufen. Womit sie nicht rechneten, war jedoch, dass tatsächlich jemand auf ihre Rufe reagieren würde. Es war aber nicht der Char-Man, sondern ein anderer Jugendlicher, der sich als Scherz als Char-Man verkleidet hatte. Als er dabei auf die Gruppe zurannte und einem der Jugendlichen sogar die Jacke entriss, muss er so überzeugend gewirkt haben, dass die Jugendlichen sich kurz darauf an die Presse wandten:

Am 6. Juli 1967 veröffentlichte die Ventura County Star-Free Press einen Zeitungsartikel über besagte Begegnung mit dem Char-Man. Und auch im Radio soll davon berichtet worden sein.

Ich muss wohl nicht erwähnen, dass es seitdem zahlreiche angebliche Begegnungen mit dem Char-Man gab. Inzwischen ist die Legende in die Kultur von Ojai eingegangen und auch noch heute gibt es zahlreiche Menschen, die Fest an den Char-Man glauben.

Dass es sich bei einer der bekanntesten Begegnungen um einen Hoax handelte, kam übrigens erst bei einem anonymen Interview im Jahr 1981 heraus, bei dem der Täter seinen Scherz telefonisch gestand.

Inzwischen gibt es sogar eine Verfilmung der Legende. Der Film „Char Man“ erschien 2019, hat jedoch sehr schlechte Kritiken bekommen und wurde nicht ins Deutsche übersetzt.

Was haltet ihr von dem Char-Man? Kanntet ihr die Legende bereits oder habt ihr vielleicht den Film gesehen? Und würdet ihr euch trauen, nach ihm zu suchen? Schreibt es in die Kommentare!

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8 Kommentare

  1. RosesReallySmellLikePooPoo schreibt:

    Gruselig!
    Ich kannte die Legende bisher noch nicht und auf den Film dazu habe ich nicht gesehen. Aber nachdem du schreibst, dass die Kritik nicht sonderlich gut ausgefallen ist, lohnt es sich wohl auch nicht.
    Als Kind war ich mutiger, muss ich sagen und habe sehr an solche Legenden geglaubt und mich auch getraut, mitzumachen. Mittlerweile würde ich eher davonlaufen als mich irgendeiner realen oder fiktiven Gefahr auszusetzen 😹

    Danke auf jeden Fall wieder für deine wunderbare Geschichte und eine kleine, gruselige Auszeit im Alltag!

    • Jeremie Michels schreibt:

      Ich habe auf jeden Fall zur Recherche in den Film reingeschaut und was ich gesehen habe war sehr langweilig. Du verpasst also wahrscheinlich wirklich nichts. 😅

      Das interessiert mich jetzt aber. Welchen fiktiven Gefahren hast du dich als Kind denn ausgesetzt? Ich persönlich würde niemals etwas wie das Bloody Mary Ritual o. Ä. durchführen, wo man angeblich einen schlimmen Fluch oder den Tod auf sich ziehen würde (weder als Kind noch heute). Dem Char-Man hingegen sind bisher alle Opfer entkommen und auch solche Orte wie die Bunny Man Bridge oder das Sally House würde ich mir liebend gerne mal ansehen. 😁

      „Eine kleine, gruselige Auszeit im Alltag“ ist das wohl schönste Kompliment, das ich für meine Geschichten je bekommen habe. 😄

      • RosesReallySmellLikePooPoo schreibt:

        Tatsächlich habe ich mit einer Freundin eine Abwandlung von Bloody Mary gemacht. Da ging es aber um Kobolde, wenn ich mich recht erinnere. Also nur, dass dein Gesicht plötzlich koboltartig aussieht. Es hat nie geklappt, im Nachhinein bin ich absolut nicht enttäuscht darüber 😵‍💫
        Und außerdem noch das Geister herbei rufen und versuchen zu kommunizieren in einem dunklen Raum mit Kerzen.
        Im Nachhinein betrachtet frage ich mich, was damals nicht mit mir gestimmt hat 😆🙈

        • Jeremie Michels schreibt:

          Oje. Wobei das Leben als Kobold sicher spannend gewesen wäre. 😅
          Oder ging es um einen kurzzeitig Effekt im Spiegel? Das hätte nämlich tatsächlich funktionieren können. Ich hatte das mal ausprobiert bei gedimmtem Licht vor einem Spiegel zu sitzen und mein Spiegelbild mehrere Minuten anzustarren (dabei darf man die Augen nicht bewegen und möglichst nicht blinzeln, muss also starr einen bestimmten Punkt anstarren). Bloody Marry hab ich zwar nicht beschworen, aber ich sage es mal so: Ich weiß jetzt, woher die Gerüchte kommen, dass sie einem die Augen auskratzt. 🙈

          Und ihr habt das versucht? So richtig mit Gläserrücken und allem? Hat es denn funktioniert? 👀
          Ich hätte es einmal fast gemacht. Wir haben uns dann aber nicht getraut, weil es einer Teilnehmerin nicht so gut ging. Aber ich war sogar damals schon ganz froh darüber. 😅

  2. Stocki schreibt:

    Endlich wieder neue Geschichten, was gibt es besseres. Die Legende erinnert mich ziemlich an Charlie No Face, nur dass der eben ein wenig freundlicher war:) Aber nichtsdestotrotz tolle Geschichte.

    • Jeremie Michels schreibt:

      Es ist wirklich schön zu sehen, dass ich einige Stammleser habe, die sich so über meine Geschichten freuen. Danke! 😄

      Und jaaa. Mich hat sie auch sehr an Charlie No-Face erinnert. (Was vielleicht auch der Grund ist, wieso ich die Geschichte so aufgebaut habe und Charly Charly heißt … 😬) Wobei die heutige Jugend im Ojai Valley hauptsächlich als Mutprobe zur Char Man Bridge (eine Brücke direkt bei Camp Comfort) fährt, um dort nachts um Hilfe zu rufen. Aber wie bei den meisten Legenden bleibe ich in meinen Geschichten lieber dem Ursprung treu. ^^

  3. L1n4 schreibt:

    Endlich eine neue Geschichte, ich habe mich so darauf gefreut.😀
    Was die Fragen angeht, kannte ich die Legende und den Film noch nicht. Aber ich bin mir sicher das ich niemals bei Nacht dorthin gegangen wäre, dafür bin ich ein zu großer Angsthase.😅

    • Jeremie Michels schreibt:

      Ich hab das Schreiben ehrlich gesagt auch ziemlich vermisst, auch wenn es nur ein paar Wochen Pause waren. 😅

      Also ich muss ehrlich sagen, dass ich es schon spannend fände, da nachts hinzugehen. Also auf keinen Fall allein und vllt. würde ich im letzten Moment einen Rückzieher machen, aber hmmm … spannend wäre es schon. (Wobei ich nie im Leben weit vom Auto weggehen würde!) Dass du den Film nicht kennst, ist nicht weiter schlimm. Ich hab bei der Recherche mal reingesehen und es war wirklich langweilig. Also verpasst hast du nichts. ^^‘

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