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"The Midnight Game"-Zeichnung von Jeremie Michels. Das Bild zeigt ein Stück Papier, das am Boden liegt. Darauf steht in dunkelblauer Handschrift geschrieben: "Leonard Carsten Richter". Unter der Schrift befindet sich ein roter Fleck, neben dem eine brennende Kerze steht.
The Midnight Game (2024)

The Midnight Game – das Mitternachtsspiel

The Midnight Game ist ein modernes Ritual, das vor etwas über 10 Jahren erstmals im Internet gepostet wurde. Da ich schon länger keinen Beitrag mehr über ein Ritual geschrieben habe, dachte ich, dass es sich gut für meinen nächsten Beitrag eignen würde.

Viel Spaß beim Gruseln!

Triggerwarnungen (Achtung Spoiler!)

– Blut
– Selbstverletzung
– Tod

Die Geschichte:

„Das ist kein Schönschreibwettbewerb“, kommentierte Mark mit einem Grinsen, während er mir dabei zusah, wie ich meinen Namen auf das Stück Papier zeichnete.

Ich ließ mich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sorgfältig schrieb ich weiter. Hierbei wollte ich mir keine Unsauberkeit erlauben.

Mark war deutlich weniger zimperlich. Er schmierte seinen Namen auf das Papier, als wäre es ein Aufgabenzettel aus der Schule.

Nach einer gefühlten Ewigkeit war auch ich fertig. ‚Leonard Carsten Richter‘, stand in meiner schönsten Schrift da.

„Was jetzt?“, fragte ich.

Da hielt Mark mir auch schon eine Stecknadel entgegen. „Jetzt der Tropfen Blut“, sagte er.

Ich beobachtete ihn, wie er mehrere Anläufe nahm. Immer wieder führte er seine Nadel an den Zeigefinger, atmete tief durch, zögerte und traute sich dann doch nicht.

„Jetzt steck ihn schon rein“, scherzte ich bewusst zweideutig, nahm meine eigene Nadel und rammte sie mir, ohne innezuhalten, in den Daumen. Bei so etwas galt Augen zu und durch. Wenn man zögerte, kamen einem nur Gedanken, die einen davon abhielten.

Ich drückte die Haut um den Einstich zusammen, sodass ein Tropfen Blut daraus hervorquoll. Anschließend hielt ich ihn so dicht an das Papier mit meinem Namen, dass der Tropfen darauf landete.

Es war nur ein kleiner Tropfen, aber das musste genügen. Anschließend steckte ich meinen Daumen in den Mund. Sofort schmeckte ich den vertrauten eisernen Geschmack.

Als ich zu Mark sah, erkannte ich, dass auch er es endlich geschafft hatte.

Mit unseren Fingern in den Mündern warteten wir, bis das Blut in das Papier eingezogen war. Der erste Schritt des Rituals war vollendet.

Falls ihr euch fragt, was wir hier eigentlich machen, wir bereiten das Midnight Game vor. Es handelte sich dabei um ein altes heidnisches Ritual, mit dem man eine böse Entität namens the Midnight Man beschwören kann. So stand es zumindest im Internet. Wir hatten auf einer Creepypastaseite davon gelesen und waren beide hellauf begeistert.

Ihr müsst wissen, Mark und ich waren Fans vom Okkulten. Bereits in der Grundschule hatten wir zusammen das Bloody Mary Ritual durchgeführt, später versuchten wir dasselbe mit dem Candyman und sogar mit Hanako-san.

Passiert war natürlich nie etwas. Trotzdem könnt ihr euch unsere Begeisterung sicher vorstellen, als wir von „The Midnight Game“ erfahren hatten – einem dreieinhalbstündigen Ritual, das bei den Durchführenden zu schweren mentalen Schäden oder sogar dem Tod führen konnte.

Wirklich daran glauben taten wir natürlich beide nicht. Wir liebten allerdings den Nervenkitzel, die Momente, in denen man sich nie ganz sicher war, ob wir nicht vielleicht doch gerade in Lebensgefahr schwebten. Noch ahnten wir beide ja nicht, wie anders the Midnight Game werden würde …

Als Nächstes gingen wir noch einmal die Räume des alten Hauses ab, um sicherzugehen, dass nirgends mehr Licht brannte – eine der Regeln des Midnight Games. Die einzige Lichtquelle, die wir von Mitternacht bis 03:33 Uhr haben würden, war jeweils eine einzelne Kerze.

Anschließend gingen wir weiter zur Haustür. Sie war aus massivem Holz. Wir legten die Zettel mit unseren Namen und unserem Blut davor auf den Boden, holten zwei Kerzen und stellten sie je auf den Zettel. Danach kramten wir die neuen Feuerzeuge hervor und zündeten sie einige Male an, um sicherzugehen, dass sie funktionierten. Sollte eines von beiden später versagen, könnte das unseren Tod bedeuten.

Entschlossen zündeten wir die Kerzen an, ehe wir auch das Licht im Flur ausschalteten.

Mark holte sein Smartphone heraus. Er öffnete die Weltuhr. „In einer Minute ist Mitternacht. Genau zweiundzwanzig Sekunden vorher fangen wir mit dem Klopfen an“, erklärte er unnötigerweise. Den Plan hatten wir bestimmt schon ein Dutzend Mal durchgesprochen.

Um den Midnight Man zu beschwören, mussten wir genau zweiundzwanzig Mal gegen die Tür klopfen. Das letzte Klopfen musste dabei auf Punkt Mitternacht fallen.

Angespannt wartete ich, bis Mark anfing, die Sekunden anzusagen. „Noch zehn Sekunden. Fünf Sekunden. Drei, zwei, eins, jetzt!“

Sofort fingen wir mit dem Klopfen an.

„Eins, zwei, drei“, zählte Mark laut mit. Er hielt dabei den Blick stur auf sein Smartphone gerichtet, während er den Takt vorgab. „Neunzehn, zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig.“

Wie auf Kommando begann in genau diesem Moment die große Standuhr im Flur zu schlagen. ‚Ding Dong, Ding Dong‘, tönte sie laut. Ich zählte mit. Genau zwölf Schläge. Mitternacht.

Ich spürte, wie sich eine wohlige Gänsehaut über meinen Rücken zog. „Also dann“, sagte ich. „Mögen die Spiele beginnen.“

Mark griff nach der Türklinke und öffnete die Haustür. Anschließend beugten wir uns zu unseren Kerzen und pusteten sie aus.

Das war’s. Wir hatten dem Midnight Man gerade erlaubt, mein Elternhaus zu betreten.

Im nächsten Moment hörte ich, wie Mark die Haustür wieder schloss. Schnell kramte ich mein Feuerzeug hervor. Ich war froh, dass Mark in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wie panisch ich an dem Feuerzeug fummelte, um die Flamme anzubekommen.

Im Kerzenschein sah ich, wie Mark mich angrinste. Genau wie ich steckte er voller angespannter Erwartung.

„Na los“, flüsterte er, „lass uns in Bewegung bleiben.“

Das war eine weitere Regel des Midnight Games. Wir durften niemals zu lange an einem Ort verweilen, oder der Midnight Man würde uns finden. Wenn er das tat, würden unsere Kerzen ausgehen. Dann hatten wir genau zehn Sekunden Zeit, die Flammen wieder zu entzünden. Sollten wir das hingegen nicht schaffen, mussten wir schnell einen schützenden Kreis aus Salz um uns ziehen. Ansonsten würden wir eines grausamen Todes sterben.

Am Anfang passierte noch nicht viel. Trotzdem kam mir das Haus völlig fremd vor. Obwohl ich hier schon seit fünfzehn Jahren wohnte, war es fast so, als erkannte ich die Räume im schwachen Licht unserer Kerzen nicht wieder. Nicht nur, dass die Möbel – die Schränke im Flur, die Stühle in der Küche, sogar die offenen Türen – nur als schemenhafte Umrisse auftauchten, auch waberten überall über die Wände Schatten, die im flackernden Licht fast lebendig wirkten.

Als wir das Wohnzimmer betraten, erstarrte ich. In einigen Metern Entfernung starrten uns zwei leuchtende Augen aus der Dunkelheit an.

„Was ist?“, flüsterte Mark mir zu. Sein Körper wirkte angespannt.

„Scheiße!“, fluchte ich leise. Dann musste ich lachen. „Ich hab die Reflexion im Fenster gerade für zwei Augen gehalten.“ Ich deutete auf die beiden kleinen Flammen, die sich in der Fensterfront spiegelten.

Jetzt lachte auch Mark leise. „Mach nicht gleich so ne Panik. Wenn wir keinen kühlen Kopf bewahren, sehen wir den Midnight Man gleich an jeder …“ Er brach mitten im Satz ab. Seine Augen waren ungläubig geweitet, ehe er plötzlich den Arm mit der Kerze ausstreckte und in Richtung Sofa leuchtete.

Ich folgte seinem Blick, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken, ehe Mark mich wortlos am Arm packte und zurück in den Flur zerrte.

Wir gingen noch einige Meter weiter, ehe ich mich traute, etwas zu sagen. Das Verhalten war für Mark absolut untypisch.

„Was?“, flüsterte ich, so leise, dass ich fast befürchtete, mein Freund würde mich nicht hören.

Mark sah mich mit großen Augen an. „Da hat sich was bewegt“, erklärte er. Auch er sprach so leise, dass ich mich anstrengen musste, um alles zu verstehen. „Irgendeine Art Schatten. Direkt beim Sofa.“

Prüfend musterte ich ihn, suchte nach irgendetwas, das darauf hindeutete, dass er mich bloß ärgern wollte. Aber sein Blick war todernst. Auch sah es im Kerzenschein so aus, als sei seinem Gesicht sämtliche Farbe entwichen.

„Ach, du spinnst. Das hast du dir eingebildet“, sagte ich dann. Ich lachte nervös. „Wer macht jetzt wem Panik?“

Mark gab mir ein schiefes Lächeln.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, setzten wir uns wieder in Bewegung. Wieder gingen wir durch die verschiedenen Räume. Jetzt bildete auch ich mir ein, aus dem Augenwinkel Bewegungen in der Dunkelheit zu sehen. Aber nein, meine Augen spielten mir einen Streich.

Irgendwann jedoch kam zu den Bewegungen ein Geräusch hinzu. Es war eine Art Säuseln. Oder ein Flüstern?

Mit gerunzelter Stirn sah ich zu Mark. „Hörst du das?“, zischte ich ihm zu.

Er hielt in der Bewegung inne. Jetzt lauschten wir beide angespannt. Da war definitiv eine Art Flüstern. Nur, dass ich nicht erkennen konnte, wo es herkam. Auch konnte ich keinerlei Worte darin ausmachen.

Ding Dong.

Mark und ich zuckten gleichermaßen zusammen. Vor Schreck hätte ich fast die Kerze fallenlassen. 1 Uhr. Wir hatten erst eine Stunde in dem Ritual ausgehalten und ich hatte schon jetzt das Gefühl, langsam den Verstand zu verlieren.

Wieder lachte ich nervös. Diesmal um mein schweres Atmen zu überdecken. Ehe ich jedoch etwas sagen konnte, waren wir plötzlich in Dunkelheit gehüllt.

Ungläubig starrte ich auf die nachglimmende Spitze des Dochts vor mir. Marks und meine Kerze waren im exakt selben Augenblick ausgegangen.

Im nächsten Moment kramten wir hektisch unsere Feuerzeuge hervor, während wir zurück in den Flur stolperten. Es klackerte, während wir versuchten, sie einzuschalten. Dann endlich gab es wieder Licht. Mark hatte es als erstes geschafft, seine Kerze wieder zu entzünden, und hielt mir mit ernster Miene das Feuerzeug hin. Dankbar hielt ich auch meinen Docht in die Flamme.

„Heilige Scheiße, was war das?“, flüsterte ich, nachdem wir sichergegangen waren, dass um uns herum alles normal aussah.

„Vielleicht ein Windzug?“, erwiderte Mark. Er hatte immer für alles eine Erklärung.

Aber wahrscheinlich hatte er recht. Außer … Aber nein. The Midnight Game war nur ein Spiel. Eine Mutprobe unter Freunden. Genau wie Bloody Mary und all die anderen Rituale. Nichts davon war echt. Ich durfte mich jetzt wirklich nicht wegen sowas verrückt machen lassen.

Trotzdem hatte ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, während wir weitergingen.

Inzwischen sah ich in allen Ecken Bewegungen. Dunkle Schatten, die sich aufrichteten. Natürlich wusste ich, dass mein Hirn mir nur Streiche spielte. Dennoch hätte ich mehr als einmal am liebsten das Licht eingeschaltet, um mich wirklich davon zu überzeugen. Aber das war gegen die Regeln. Und wenn an dem Ritual auch nur ein kleines Fünkchen Wahrheit war, wollte ich nicht herausfinden, was mit Regelbrechern geschehen würde.

Runde für Runde schlichen wir durch die Zimmer. Nur das Wohnzimmer und das Gästezimmer, in dem ich vorhin das Geflüster gehört hatte, ließen wir aus. Die Bewegungen, die ich sah, wurden dabei immer häufiger. Auch kam mir die Stille manchmal gar nicht mehr so still vor.

„Ist dir auch plötzlich so kalt?“, flüsterte ich Mark zu.

Doch er zuckte mit den Schultern. „Nicht kälter als eben“, antwortete er.

Wie konnte Mark bei all dem nur so cool bleiben? Das Einzige, was mich noch bei Verstand hielt, war die Tatsache, dass unsere Kerzen erst ein einziges Mal ausgegangen waren. In den meisten Zeugenaussagen aus dem Internet geschah das sehr viel häufiger.

Wahrscheinlich hatte Mark also recht: Es war nur ein Windzug gewesen, der die Kerzen ausgepustet hatte. Der würde auch das säuselnde Geräusch erklären. Das Haus war alt. Da kam so etwas schon einmal vor.

Und die Schatten? Das war nichts als meine Fantasie. Natürlich bildete ich mir Dinge ein, wenn ich die letzten Tage ständig davon gelesen hatte. In der Dunkelheit ließen die Augen sich nun einmal sehr leicht austricksen. Wenn ich mich jetzt also nicht beruhigte, würde es bloß schlimmer werden.

Ich atmete tief durch, dachte an all die anderen Rituale, bei denen auch nie etwas geschehen war. Ich war in Sicherheit. Wir waren in Sicherheit.

Es funktionierte. Langsam beruhigte sich mein Herzschlag wieder. Von mir selbst belustigt schüttelte ich den Kopf. Natürlich war das alles nur Einbildung gewesen. Genau wie die dunkle Gestalt, die jetzt vor uns beiden stand.

Meine Augen weiteten sich. Und auch Mark war wie angewurzelt stehengeblieben.

Die Gestalt vor uns war anders als die schattenhaften Bewegungen, die ich bisher gesehen hatte. Sie war dunkler. Um genau zu sein, erkannte ich sie nur, weil sie noch schwärzer als die Dunkelheit hinter ihr war. Sie stach nahezu daraus hervor. Außerdem war ihre Form eindeutig menschlich. Sie war groß und dünn, hatte deutlich erkennbare Arme. Einen Torso. Einen Kopf.

Dann bewegte sie sich. Es sah aus, als würde sie einen Arm nach uns ausstrecken. Und plötzlich … Schwärze. Unsere Kerzen waren zeitgleich erloschen.

Panik stieg in mir auf. Noch während ich in meiner Hosentasche nach dem Feuerzeug kramte, stolperte ich rückwärts davon. Ich rannte zurück in den Flur, versuchte hektisch, meine Kerze wieder anzuzünden. Wie viele Sekunden waren vergangen, seit die Kerze erloschen war? Ich wusste es nicht, hatte nicht mitgezählt. Waren es schon zehn Sekunden?

Klack. Klack. Wieso kam kein Feuer? Klack. Dann endlich wurde es hell. Die winzige Flamme meines Feuerzeugs kam mir vor wie ein rettendes Leuchtfeuer. Schnell hielt ich sie an meine Kerze und entzündete den Docht.

Als Nächstes sah ich mich um. Von der dunklen Gestalt fehlte jede Spur. Jedoch auch von Mark.

Ich unterdrückte ein Fluchen. Wieso hatte ich nicht darauf geachtet, wo er hingelaufen war? Ohne zu zögern, ging ich zurück. Meine Füße bewegten sich schnell und leise über den alten Holzboden. Gleichzeitig achtete ich auf jede Bewegung, jeden Schatten, der mir merkwürdig vorkam.

Als ich um eine Ecke bog, rannte ich fast in Mark hinein. Mein Herz machte einen Hüpfer. Die Flamme von Marks Kerze streifte mein Gesicht. Gerade noch so konnten wir verhindern, ineinander zu laufen.

„Fuck!“, stieß ich aus. Diesmal konnte ich das Fluchen nicht unterdrücken. Ich atmete tief durch. „Du hast das doch auch gesehen, oder?“, fragte ich. „Die schwarze Gestalt?“

„Ja.“ Mark nickte.

„Scheiße, scheiße, scheiße!“, fluchte ich. „Das ist kein Spiel!“

Ich eilte in den Flur zurück, diesmal darauf bedacht, dass Mark mir folgte. Dort stellte ich die Kerze auf den Boden und fummelte die Packung Salz aus meiner Hosentasche, die ich für den Notfall eingesteckt hatten. Ich weiß noch, wie Mark mich dafür ausgelacht hatte. Aber ich war lieber auf Nummer sicher gegangen. Immerhin sollte man in einem Kreis aus Salz vor den Midnight Man sicher sein. Auch wenn ich nie gedacht hätte, dass wir das Salz wirklich brauchten.

Behutsam streute ich den Inhalt in einem Kreis um mich auf den Boden. Ich machte ihn groß genug, damit Mark ebenfalls darin Platz finden konnte.

Er hingegen blieb einige Meter vor mir stehen. Im schwachen Kerzenlicht konnte ich den Zweifel in seinem Gesicht erkennen.

„Jetzt komm schon! Bevor der Midnight Man wieder auftaucht“, forderte ich ihn auf.

Aber Mark bewegte sich nicht. „Das … Das ist doch verrückt. Es gibt keinen Midnight Man. The Midnight Game ist nicht echt.“

„Und wenn doch?“, erwiderte ich. „Jetzt komm endlich her! Wem willst du denn noch was beweisen? Du hast länger durchgehalten als ich, okay?“

Mark zögerte. Ich konnte es deutlich erkennen. Doch dann schüttelt er den Kopf. „Nein“, sagt er entschlossen. „Es ist schon fast zwei Uhr. Die letzten anderthalb Stunden halt ich auch noch durch.“

Verdammter Sturkopf! Er war schon immer der Vernünftige von uns gewesen. Wahrscheinlich war er sich sicher, dass die Gestalt nur Einbildung gewesen war. Natürlich hoffte ich das auch. Aber ich würde nicht länger mein Leben darauf verwetten.

„Ich muss in Bewegung bleiben“, fügte Mark knapp hinzu. Ehe er sich jedoch umdrehen konnte, war er plötzlich verschwunden. Vor mir lag nur noch Dunkelheit. Seine Kerze war wieder erloschen.

Vor Anspannung hielt ich den Atem an. Im Kopf zählte ich mit: 1, 2, 3. Angestrengt starrte ich in die Schwärze. 4, 5, 6. Wo blieb die Flamme seines Feuerzeugs? 7, 8, 9, 10. Nichts.

„Mark?“, rief ich zaghaft. Ich traute mich nicht, lauter zu rufen. „Mark, bist du da?“

Keine Antwort.

Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob mein Freund mich auf den Arm nahm. Dann hörte ich jedoch ein angsterfülltes Gewimmer.

„Nein … Nein!“, jammerte Mark. Noch nie hatte ich so viel Panik in seiner Stimme gehört. „Nein, nein, nein, nein, nein!“

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, nahm ich all meinen Mut zusammen, umklammerte meine Kerze und trat aus dem Salzkreis hinaus. Mit ausgestreckter Kerzenhand ging ich auf das Gewimmer zu. Zuerst sah ich nur die Dielen im Licht der Kerze, dann unsere Kommode und direkt daneben einen völlig verängstigten Mark.

Er saß mit dem Rücken an die Wand gedrängt, die Arme schützend erhoben, während er entsetzt in die Luft starrte. „Nein, nein, nein!“, jammerte er weiter.

„Mark. Mark, ich bin es“, versuchte ich, ihn zu beruhigen. Ich versuchte, nach seiner Schulter zu greifen, doch er schlug meinen Arm sofort weg.

Nach einem zweiten und dritten Versuch gab ich auf. Er erkannte mich nicht.

Also stellte ich meine noch brennende Kerze auf den Boden. Ich packte mit beiden Armen nach Marks Schultern.

Er wehrte sich mit Leibeskräften. Was auch immer er in der Dunkelheit sah, es musste ihm panische Angst bereiten.

Während ich ihn also auf die Beine zog, schlug und trat er um sich. Es tat verdammt weh, aber ich schluckte den Schmerz hinunter. Wenn die Internetseiten recht hatten, auf denen wir über the Midnight Game gelesen hatten, würde der Midnight Man Mark umbringen, während er ihm Visionen seiner schlimmsten Ängste zeigte. Das musste ich auf jeden Fall verhindern.

Ich hatte keine Ahnung, wie ich es bewerkstelligte, aber schließlich schaffte ich es, Mark in Richtung Salzkreis zu bewegen.

Inzwischen zuckte sein Kopf hin und her. Sein Gewimmer war zu Schreien übergegangen. „Nein! Nein, nein!“, schrie er.

Dann endlich standen wir beide im Salzkreis. Für einen kurzen Moment sah Mark mich direkt an. Es war, als würde er mich endlich erkennen. Dann sackte er am Boden zusammen und fing bitterlich an zu weinen.

Nachdem ich mit meinem Feuerzeug kontrolliert hatte, ob der Kreis noch intakt war und zwei Stellen ausgebessert hatte, widmete ich mich schließlich Mark.

Unbeholfen streichelte ich über seinen Rücken. „He. Alles wird gut“, redete ich beruhigend auf ihn ein. „Wir sind jetzt in Sicherheit.“

Die restliche Zeit des Rituals, bis 03:33 Uhr, als der Midnight Man wieder verschwinden sollte, verharrten wir fast reglos im Salzkreis. Zum Glück geschah, abgesehen davon, dass meine Kerze recht schnell erlosch, nichts Ungewöhnliches mehr. Trotzdem sprach Mark in der gesamten Zeit kein einziges Wort mehr. Erst, als nach gefühlten Ewigkeiten unsere Handywecker gleichzeitig losgingen und das Ende des Midnight Games verkündeten, sprang er ruckartig auf und rannte zum nächsten Lichtschalter.

Klack.

Der Flur lag völlig ruhig vor uns. Wären da nicht der Salzkreis, die beiden erloschenen Kerzen und zwei blutbefleckten Papiere bei der Eingangstür gewesen, hätte wohl niemand geahnt, dass hier gerade ein dunkles Ritual durchgeführt worden war.

Mark hingegen sah man es deutlich an. Er war noch immer leichenblass, sah völlig verheult aus und zitterte am ganzen Körper. In dieser Nacht hatten wir im selben Bett geschlafen.

Aber obwohl Mark am nächsten Morgen schon deutlich besser aussah, war er seit jener Nacht nie wieder derselbe gewesen. Er lachte weniger, hatte wohl oft noch Albträume. Seitdem haben wir jedenfalls einen großen Bogen um alles gemacht, was auch nur ansatzweise okkult wirkte.

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Die Legende:

The Midnight Game, englisch für „das Mitternachtsspiel“, ist ein Ritual, das ursprünglich als Creepypasta veröffentlicht wurde. Mit dem Ritual wird angeblich ein Wesen namens „The Midnight Man“ beschworen, das versucht, die Durchführenden zu töten.

Inzwischen gibt es unzählige Menschen, die das Ritual durchgeführt oder eigene Geschichten dazu geschrieben haben.

Das Ritual:

Hinweis: Ich rate dringend davon ab, übernatürliche Rituale durchzuführen. Der Kontakt zur Geister- oder Dämonenwelt kann schwerwiegende Folgen mit sich bringen!

Angeblich soll the Midnight Game ein altes heidnisches Ritual sein, das dazu genutzt wurde, Anhänger der betreffenden heidnischen Religion zu bestrafen, wenn sie gegen die Regeln verstoßen haben. Um welche heidnische Religion es sich dabei genau gehandelt haben soll, ist jedoch nicht bekannt.

Es heißt, dass das Ritual zu schweren mentalen Schäden oder sogar zum Tod führen kann. Sollte man das Ritual nicht schaffen, soll der Midnight Man seinen Opfern Halluzinationen ihrer größten Ängste erscheinen lassen, während er ihnen die Organe herausreißt.

Eine positive Folge oder einen anderen Grund, warum man das Ritual durchführen sollte, gibt es nicht.

Vorbereitung:

Für das Ritual benötigt man eine Kerze, ein Feuerzeug oder Streichhölzer (möglichst zuverlässig, sodass man die Kerze oft und möglichst schnell wieder entzünden kann), ein Blatt Papier, etwas zum Schreiben, Salz (genug, um einen schützenden Kreis um sich auf den Boden zu streuen), eine Holztür sowie einen Tropfen des eigenen Blutes.

Als Erstes muss man seinen vollständigen Namen (inkl. mittlere Namen, falls vorhanden) auf das Papier schreiben. Anschließend muss man einen Tropfen des eigenen Blutes auf das Papier träufeln und warten, bis das Papier das Blut aufgesaugt hat.

Dann soll man alle Lichter im Haus ausschalten und das Papier mit dem Namen vor die Holztür legen. Die Kerze muss auf das Papier gestellt und angezündet werden.

Als Nächstes muss man genau 22-mal an die Holztür klopfen. Wichtig hierbei ist, dass das letzte Klopfen auf Punkt Mitternacht fallen muss.

Wenn man nun die Tür öffnet, die Kerze auspustet und die Tür wieder schließt, soll der Midnight Man im Haus auftauchen und das Ritual beginnt. Jetzt sollte man die Kerze, so schnell es geht, wieder anzünden.

The Midnight Man:

Viel ist über den Midnight Man nicht bekannt. Man weiß nur, dass er während des Rituals als pechschwarze humanoide Gestalt oder als Schatten auftauchen soll.

Auch soll man seine unmittelbare Nähe an einem plötzlichen Temperaturabfall und einem Geflüster, das aus keiner bestimmten Richtung zu kommen scheint, erkennen.

Wenn man den Midnight Man sieht oder wahrnimmt, wird empfohlen, den Raum schnellstmöglich zu verlassen.

Ablauf:

Sobald der Midnight Man beschworen ist, sollte man nicht zu lange an ein und demselben Ort verharren, um nicht von ihm gefunden zu werden.

Außerdem darf man kein einziges Licht einschalten (auch keine Taschenlampe o. Ä.) und muss dafür sorgen, dass die Kerze die ganze Zeit über brennt. Sollte die Kerze ausgehen, muss man sie innerhalb von 10 Sekunden erneut entzünden, oder – falls man das nicht schafft – einen Kreis aus Salz um sich herumstreuen. Diesen Kreis darf man während des Rituals nicht mehr verlassen.

Wenn man es schafft, bis genau 03:33 Uhr zu überleben – egal, ob durch in Bewegung bleiben und die Kerze am Brennen halten oder, indem man im Salzkreis verweilt – hat man das Ritual erfolgreich beendet.

Gesondert erwähnt sind zusätzlich die Regeln, dass man während des Rituals nicht einschlafen darf, nicht das Blut einer anderen Person auf das Papier träufeln darf, kein Feuerzeug statt der Kerze verwenden kann und, dass man den Midnight Man unter keinen Umständen beleidigen oder sonst wie verärgern darf.

Des Weiteren heißt es, dass, sollte man das Ritual überleben, der Midnight Man, auch, wenn er keine unmittelbare Gefahr mehr darstellt, die durchführenden Personen (wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang) weiter beobachten wird.

Ursprung:

Einigen Seiten zufolge wurde die älteste Version von the Midnight Game ursprünglich auf 4chan gepostet. Den alten 4chan-Post habe ich zwar nicht finden können, die ältesten beiden Versionen, die ich ausfindig machen konnte (ein Bild auf imgur von 2011 und ein Post in der Creepypasta Wiki von 2012) sind jedoch identisch, weshalb ich davon ausgehe, dass sie denselben Text wie auf 4chan beinhalten.

Vor den besagten Posts habe ich keine Erwähnung des Rituals finden können. Die einzige ältere Übereinstimmung ist der Film „The Midnight Man“ von 1974, der abgesehen vom Namen keine Gemeinsamkeiten mit dem Ritual hat.

Auch deutet das Ritual an sich darauf hin, dass es sich um eine neuere Erfindung und nicht tatsächlich um ein „altes heidnisches Ritual“ handelt. Zum einen waren die meisten Häuser früher sehr viel kleiner, sodass man nicht vor dem Midnight Man hätte flüchten können, zum anderen wäre das erneute Entzünden einer erloschenen Kerze innerhalb von 10 Sekunden mit damaligen Mitteln ein Problem gewesen.

Das Ritual selbst kann hingegen tatsächlich funktionieren. Bzw. könnten durchführende Personen tatsächlich denken, dass es funktioniert.

Wann man in einem dunklen Haus umherstreift, dabei nichts außer einer flackernden Kerze als Lichtquelle hat, ist es nicht ungewöhnlich, dass man sich Dinge einbildet. Wenn jetzt noch Faktoren wie Angst, Nervosität und Müdigkeit hinzukommen, kann es passieren, dass die Durchführenden tatsächlich eine dunkle Gestalt sehen, seltsames Geflüster hören oder sich einbilden, dass es kälter wird. Da dies wiederum die Nervosität oder Angst noch weiter steigern kann, kann es sein, dass einige Personen in dieser Situation tatsächlich zu halluzinieren beginnen.

The Midnight Game in der Popkultur:

Aufgrund der Beliebtheit der Creepypasta gab es bereits zahlreiche Personen, die das Ritual selbst ausprobiert oder eigene Geschichten dazu geschrieben haben. Dementsprechend lassen sich viele Creepypastas, Zeugenaussagen und Kurzgeschichten finden, die von dem Ritual handeln.

Außerdem gibt es den irischen Low-Budget-Film „The Midnight Game“ (2013) sowie den US-amerikanischen Film „The Midnight Man“ (2016), die von dem Ritual handeln.

Im Jahr 2014 hat Unicorn Studios sogar ein gleichnamiges Videospiel herausgebracht, in dem das Ritual nachgestellt wurde. Es fand Anklang bei zahlreichen Let’s Playern, die die Bekanntheit des Rituals somit weiter gepusht haben.

Was haltet ihr von the Midnight Game? Würdet ihr das Ritual durchführen? Habt ihr es vielleicht schon einmal getan? Schreibt es in die Kommentare!

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10 Kommentare

  1. Rabbat07 says:

    ich hab schon lange auf die Geschichte gewartet xD ich weiß nicht, iv du dich daran ertinerst, das ich dir das als Geschichte einst vorgeschlagen habe. durchführen .. würde ich lieber in einem Großen Haus machen. anschlagen könnte es bei mir bestimmt, da Stress bei mir häufig zu Halluzinationen führt, und mich Dinge sehen lässt 😅

    • Jeremie Michels says:

      Ich erinnere mich noch, dass du damals einige Rituale vorgeschlagen hast (welche genau, weiß ich aber nicht mehr). Seitdem stand es dann wohl auf meiner Liste. 😁

      Und jaaaa. Das fühl ich. Keine Ahnung, ob es bei mir anschlagen würde, aber ich hab ehrlich gesagt keine Lust, es rauszufinden. 😬

  2. Dilan says:

    Uff geil … jetzt schiebe ich wieder bisschen Filme xD
    Kann es aber auch echt nicht sein lassen deine Geschichten vorm schlafen gehen zu lesen 😂😂😂
    Danke 🙏 Mega geil geschrieben habe echt Angst bekommen Hahahahha
    Lg Dilan

    • Jeremie Michels says:

      Tut mir leid. Ich hoffe, du konntest trotzdem gut schlafen. 😬

      Und danke. Keine Ahnung, wie oft das passiert, aber dass meine Geschichten jemandem wirklich Angst gemacht hat, ist ein sehr großes Kompliment für mich. 😄

  3. Josef says:

    Wieder Mal eine nice Story, danke dafür 🙂
    Leonard trat aus dem Salzkreis heraus, um Mark zu helfen. War das nicht ein Regelverstoß?

    • Jeremie Michels says:

      Gerne. Danke, dass du sie gelesen hast. 😄

      Und ja, ich würde schon sagen, dass es ein Regelverstoß war. Warum Leonard das Ganze trotzdem überlebt hat, überlass ich aber eurer eigenen Fantasie. Vielleicht war der Midnight Man ja doch nur Einbildung? Oder er ist er im Kerzenschein machtlos und konnte nichts tun, weil Leonard Mark schnell genug in den Salzkreis gebracht hat? 🤔

  4. Siriban says:

    Nee danke, vor solchen Ritualen habe ich immer Riesenschiss (allein sich selbst mit ner Nadel in den Finger zu stechen😖), ansonsten aber wieder eine echt gut gelungene Story von dir.😉👍

    • Jeremie Michels says:

      Ehrlich gesagt ich auch. Ich glaube nicht einmal wirklich an sowas und trotzdem hab ich mich z. B. noch nie getraut, dreimal Bloody Mary hintereinander zu sagen. 😅

      Aber es freut mich natürlich, dass dir die Geschichte gefallen hat. Falls es dich interessiert und du gut genug Englisch kannst, kann ich dir auch empfehlen, dich durch ein paar Erfahrungsberichte von Leuten, die das Ritual wirklich durchgeführt haben, zu lesen (z. B. auf Reddit). Die meisten davon fand ich bei der Recherche auch wirklich spannend. 😄

      • Josef says:

        Ich habe irgendwo eine Urban Legende aufgeschnappt, dass man nach Mitternacht keine Urbane Geschichte auf Jeremie Michels Blog lesen darf, da einem sonst das aus der gelesene Geschichte widerfährt 😛

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