Der Mahaha ist die erste Legende der Inuit-Folklore, die ich auf meinem Blog behandle. Es handelt sich um ein menschenähnliches Wesen, das seine Opfer angeblich zu Tode kitzeln soll.
Wenn ihr mehr Inuit-Legenden auf meinem Blog lesen wollt, könnt ihr mir gerne einen Kommentar schreiben. Es stehen auf jeden Fall noch einige auf meiner Liste.
Viel Spaß beim Gruseln!
Triggerwarnungen
– Tod
– Blut
Inhalt
Die Geschichte:
„Ich hasse den Winter“, murmelte ich, während ich mich zurück ins Auto setzte. Ich pfefferte den Scheibenkratzer nach hinten in den Fußraum.
Enoki, der auf dem Beifahrersitz saß, schmunzelte. „Soweit ich mich richtig erinnere, hast du um die Versetzung nach Nord-Kanada gebeten, Randy.“
„Ja, schon“, erwiderte ich. Ich startete den Motor. „Aber eigentlich, um einen Mörder zu fangen. Nicht um zweimal am Tag mein Auto kratzen zu müssen.“
Enokis Grinsen wurde breiter. Er war ein Inuit, oder ein Inuk, wie die Einzahl richtig lautet. Für ihn waren die Wetterbedingungen hier in seiner Heimatstadt völlig normal. „Ach was. Die letzten Tage war es doch gar nicht so kalt. Und mit der Zeit gewöhnst du dich daran“, versuchte er, mich aufzumuntern.
Ich wollte mich aber gar nicht daran gewöhnen. Ich seufzte schwer. Eigentlich sollte das hier ein schneller Einsatz werden. Ich sollte nach Nunavut kommen, der Polizei bei den Ermittlungen helfen und sofort wieder nach Hause fahren, sobald der Mörder geschnappt war. Das war jetzt etwas über einen Monat her. Und wir tappten noch immer völlig im Dunkeln.
„Fuck!“ Ich schlug auf das Lenkrad. „Wir haben schon fünf Tote und bei drei Tatorten hab ich selbst ermittelt. Ich war fast zehn Jahre bei der Spurensicherung, verdammt nochmal! Aber alles, was wir an Beweisen sicherstellen konnten, waren die Kratzspuren in den Opfern und ein paar Fotos von vermeintlich nackten Fußabdrücken!“
Der Fall war einer der seltsamsten und außergewöhnlichsten Fälle, in denen ich je ermitteln durfte. Die Opfer hatten scheinbar keine Gemeinsamkeiten. Es gab kein Muster, nach dem der oder die Täter sie auswählten. Wir wussten nur, dass sie alle am äußersten Stadtrand, in den unbewohntesten Gegenden gefunden wurden.
Und auch bei der Todesursache standen wir vor einem Rätsel. Zwar wiesen alle Opfer zerfetzte Oberteile mit blutigen Kratzern in ihren Bäuchen und ihren Seiten auf, aber daran waren sie nicht gestorben. Zwei von ihnen erlagen einem Herzinfarkt, während die anderen drei wohl erstickt waren.
Das Seltsamste waren jedoch die Gesichter der Toten. Ich hatte es selbst gesehen. Ihre Münder waren allesamt zu einem schmerzerfüllten Grinsen verzerrt, was bei den Gerichtsmedizinern wiederum zu noch mehr Ratlosigkeit geführt hatte. Einer von ihnen hatte sogar die Theorie aufgestellt, dass es sich um Muskelkrämpfe aufgrund der Kälte handeln könne. Ungläubig schüttelte ich den Kopf.
„Randy?“, riss mich Enoki aus meinen Gedanken. Er räusperte sich. „Ich weiß, wie du darüber denkst, aber … meinst du nicht, dass an der Mahaha-Theorie doch etwas dran sein könnte?“
Ich unterdrückte ein Augenrollen. Der Mahaha war ein Monster der Inuit-Mythologie. Der Legende nach kitzelte er seine Opfer zu Tode, was zumindest die Gesichter erklären würde. Und zugegeben: Auch die Wunden ließen sich mit seinen langen Fingernägeln begründen. Aber bei dem Mahaha handelte es sich um ein menschenähnliches Monster, das seit Jahrhunderten durch die eisige Kälte ziehen soll.
Ich atmete tief durch, ehe ich antwortete. „Ich möchte dir auf keinen Fall zu nahetreten. Aber denkst du nicht, dass, wenn es so etwas wie Geister oder Monster wirklich gäbe, egal in welcher Kultur, man dafür inzwischen irgendwo auf der Welt einen Beweis hätte finden müssen?“, fragte ich.
Es war eine Zeugin gewesen, eine alte Frau namens Simone Nanuq, die Enoki auf das Vorgehen des Mahaha hingewiesen hatte. Seitdem hatte Enoki sich daran festgebissen.
„Andererseits“, fuhr ich fort, „halte ich es weiterhin für denkbar, dass ein Mensch die Vorgehensweise des Mahaha nachahmt. Kennst du wirklich keinen Inuk oder jemand anderen, der sich mit eurer Kultur gut auskennt, der ein auch noch so kleines Motiv dafür hätte? Irgendwelche noch so kleinen Auffälligkeiten?“
Aber Enoki schüttelte entschieden den Kopf. „Randy, bei uns gibt es keine Serienmörder. Sowas gibt es vielleicht bei euch in Toronto. Wahnsinnige, die ihre kranken Fantasien ausleben. Aber das hier ist eine Kleinstadt. Das Spannendste, was hier passiert, ist für gewöhnlich ein Nachbarschaftsstreit oder vielleicht mal ein Einbruch.“
Wie auch die letzten Male, als ich es angesprochen hatte, traf ich auf eine Mauer. Enoki war felsenfest davon überzeugt, dass, wenn es nicht der mythische Mahaha war, der die Morde beging, es jemand von außerhalb sein musste – eine Einstellung, die das restliche Präsidium mit ihm teilte.
Normalerweise hätte ich jetzt zu einer Diskussion angesetzt, ihm erneut erklärt, dass man es den meisten Tätern im Alltag nicht ansah, dass sie Mörder waren, erklärt wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass ein Tourist in einer fremden Stadt eine Mordserie über vier ganze Wochen hinweg beging. Aber zum Glück musste ich das heute nicht. Wir hatten Enokis Haus erreicht. Ich hielt den Wagen an der Straße vor seinem Grundstück.
Enoki schnallte sich ab. Er wartete, bis das Auto stand, ehe er nach dem Türöffner griff. „Danke für’s Fahren“, sagte er. „Komm gut nach Hause.“
„Kein Ding. Ich will aber noch schnell zum letzten Tatort. Vielleicht kann ich ja doch noch was finden, was wir bisher übersehen haben.“
Enoki hielt mitten beim Aussteigen inne. „Jetzt? Aber es wird gleich dunkel. Soll ich mitkommen?“
Ich lachte. „Ach was. Deine Frau wartet auf dich. Außerdem ist es noch hell und ich bin bewaffnet. Sollte ich irgendetwas finden, sag ich dir natürlich sofort Bescheid!“
Enoki wirkte nicht sehr glücklich mit meiner Antwort, gab aber keine Widerworte. „Na gut. Aber meld dich bitte, wenn du zuhause bist.“
„Ja, Mama“, sagte ich grinsend. Ich zwinkerte ihm zu, ehe er die Autotür schloss. Anschließend fuhr ich los. Im Rückspiegel sah ich ihn noch winken, bis er aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Dann war ich wieder allein.
Ich weiß nicht, welche Art von Menschen ihr seid, aber für einen Stadtmenschen wie mich war die Stille bedrückend. Abgesehen von meinem Motor hörte ich jetzt kein einziges Geräusch mehr, während ich durch die verlassenen Straßen fuhr. In Toronto war immer irgendetwas los gewesen. Ich vermisste den Stadtlärm, der mir zeigte, dass ich nicht völlig allein war in dieser gottverdammten Welt.
Vielleicht war auch das der Grund, warum ich angeboten hatte, Enoki nach Hause zu fahren. Nicht nur, dass ich meinen neuen Polizeipartner so besser kennenlernen konnte, ich hatte außerdem noch ein paar Minuten mehr, in denen ich nicht allein sein musste.
Ich schaltete das Radio ein, drehte es ein kleines Stück lauter als gewöhnlich, während ich dem letzten bisschen Sonne entgegenfuhr.
Bald hatte ich das letzte Haus passiert, das noch zur Stadt gehörte. Aber zum Glück musste ich nicht mehr allzu weit über die stetig schlechter werdenden Straßen fahren. Noch ehe ich das Lied zu Ende gehört hatte, bog ich nach links auf einen zugeschneiten Parkplatz ab, auf dem noch immer das Absperrband der Polizei flatterte. Direkt davor hielt ich an.
—
Die wenigen Bäume um mich herum warfen lange Schatten über den Boden. Mit einem leisen Fluchen warf ich einen Blick zur Sonne, von der ich nur noch einen letzten Streifen am Horizont sehen konnte. Sobald sie untergegangen war, würde es rasch dunkel werden. Ich musste mich also beeilen.
Eilig stapfte ich durch den knirschenden Schnee. Ich bückte mich unter dem Absperrband hindurch und ging an die Stelle, wo noch bis vor kurzem das Auto unseres letzten Opfers gestanden hatte. Knapp davor hatten wir seine Leiche gefunden.
In Gedanken ging ich den Tathergang noch einmal durch: Das Opfer – ich vermied es generell, Mordopfer beim Namen zu nennen – war genau wie ich von der Straße auf den Parkplatz abgebogen. Vielleicht wollte er eine Pause machen, vielleicht musste er auch nur austreten. Wir hatten seine Fußabdrücke jedenfalls zu einem der nahestehenden Bäume verfolgen können. Dort hatten wir auch Spuren von Urin im Schnee gefunden.
Beim Erleichtern musste ihn der Täter jedoch unterbrochen haben. Das Opfer war noch mit geöffnetem Gürtel zurück zum Auto gerannt. Auf halber Strecke hatte ihn der Täter erreicht, der den Abdrücken zu Folge Barfuß von der Seite angerannt gekommen war. Es gab einen kurzen Kampf, wie der aufgewühlte Schnee gezeigt hatte. Dabei musste der Täter die Jacke und den Pullover des Opfers zerschnitten haben, was auch zu den blutigen Kratzern im Bauch geführt hatte. Kurz darauf war das Opfer erstickt.
„Was ist hier nur passiert?“, murmelte ich zu mir selbst. Mir fehlten die Zusammenhänge. Ich konnte mir einfach keinen Reim darauf machen.
Und dann waren da noch die Fußabdrücke des Täters. Sie führten direkt in die Wildnis, weg von der Straße. Das war auch der Grund, warum wir sie nicht sonderlich weit verfolgen konnten. Irgendwo am Ufer des inzwischen wieder vollständig gefrorenen Flusses hatten wir die Spur verloren.
Ich ließ den Blick über den Parkplatz schweifen, folgte dann den imaginären Spuren des Täters mit meinen Augen bis zum Fluss. Warum war er nicht von der Straße gekommen? Hatte er sein Auto weiter weg geparkt? Oder hatte er vielleicht ein anderes Fortbewegungsmittel? Ein Schneemobil zum Beispiel? Das würde zumindest den Kreis der Täter einschränken.
Gerade, als ich den Gedanken weiterspinnen wollte, erregte jedoch ein kurzes Geräusch in der Ferne meine Aufmerksamkeit. Es war eine Art Lachen.
Ich drehte den Kopf, um es wieder einzufangen, schob sogar die Mütze von meinen Ohren, aber nichts. Jetzt hörte ich nur noch den Wind, der über den Parkplatz säuselte. Hatte ich es mir bloß eingebildet?
Gerade, als ich mich wieder dem Tatort widmen wollte, erklang das Lachen erneut. Es war aber kein helles Lachen. Vielmehr klang es wahnsinnig, völlig ohne Freude darin. Jetzt hörte es gar nicht mehr auf. Und es kam eindeutig näher.
Sofort musste ich an den Mahaha denken. Wie war das noch? Hatte Enoki nicht gesagt, dass man ihn oft an seinem Gelächter erkennt?
Instinktiv wanderte meine Hand zu meiner Waffe. Ich löste die Schnalle, die sie im Holster hielt.
Dann erkannte ich neben dem wahnsinnigen Lachen noch ein weiteres Geräusch im Wind: das Rattern eines Schneemobils. Ein freudloses Lächeln umspielte meine Lippen. Dachte ich es mir doch. Wenn das da draußen tatsächlich der Täter war, ahmte er den Mahaha bloß nach. Wahrscheinlich waren auch die Fußabdrücke nichts weiter als speziell angefertigte Schuhe gewesen.
Mit gezogener Waffe schlich ich in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Im Halbdunkel erkannte ich eine Bewegung. Sie war jedoch viel näher, als ich erwartet hatte. Eine Gestalt stand vielleicht dreißig Meter vom Parkplatz entfernt. Sie war dünn, hatte helle Haut und strähnige Haare, durch die mich fast weiße Augen anblitzten. Von dem Schneemobil hingegen, das ich immer noch hören konnte, fehlte jede Spur.
„Ich bin von der Polizei. Bitte bleiben Sie stehen!“, rief ich. Die Waffe hielt ich stur zum Boden gerichtet, um die Person nicht zu verschrecken. „Ich habe einige Fragen an Sie!“
Die Silhouette reagierte mit einem erneuten Lachen. Im nächsten Moment setzte sie zu einem Sprint an. Sie raste auf mich zu. Ihre Bewegungen wirkten dabei unnatürlich, fast wie die eines Tieres.
Der Anblick jagte einen Schauer durch meinen Körper. Aber zum Glück war ich für solche Situationen trainiert.
Sofort riss ich meine Waffe hoch. Der erste Schuss ging in den Boden, sollte zur Abschreckung dienen. Ohne Gehörschutz war der Knall so laut, dass meine Ohren klingelten. Aber das Wesen zögerte nicht einmal in seiner Bewegung. Also feuerte ich den zweiten Schuss auf seine Brust ab. Das Wesen zeigte sich jedoch völlig unbeeindruckt. Er zuckte nicht einmal. Hatte ich verfehlt?
Leider hatte ich keine Möglichkeit mehr, es noch einmal zu versuchen. Das Ding hatte mich erreicht. Ehe ich den Abzug erneut betätigen konnte, wurde ich bereits zu Boden gerissen. Schmerzhaft prallte ich in den Schnee, spürte, wie mir die Waffe aus der Hand glitt.
Der Mahaha – denn ich war mir jetzt sicher, dass er es tatsächlich war – stand über mir. Er trug nichts außer einer zerschlissenen Hose aus Fell. Seine Haut hatte einen blassblauen Ton. Sein Körper wirkte abgemagert, aber gleichzeitig unglaublich kräftig und muskulös.
Am furchteinflößendsten war hingegen sein Gesicht. Sein Mund war zu einem schadenfrohen Grinsen verzerrt, das spitzzulaufende Zähne entblößte. Außerdem waren da seine weißen Augen, die in der Dämmerung fast zu leuchten schienen. Es war, als bohrte sein Blick sich direkt in mein Fleisch.
Plötzlich stieß er ein erneutes Gelächter aus. Es war so schrill, dass ich mir am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Dazu hatte ich jedoch keine Möglichkeit mehr. Der Mahaha stürzte sich bereits auf mich, während er weiter lachte.
Er schlug meine schützenden Arme mit solcher Leichtigkeit zur Seite, als wäre ich ein Kind. Im nächsten Moment schlitzte er mit seinen erstaunlich scharfen Fingernägeln bereits meine Daunenjacke auf.
Panisch versuchte ich, seine Handgelenke zu packen, ihn festzuhalten, aber es kümmerte ihn gar nicht. Er war so viel stärker als ich.
Dann begann er auch schon, nach meinem freigelegten Bauch zu greifen. Sein Grinsen hing direkt über mir, während er anfing, mich zu kitzeln.
Mit aller Kraft versuchte ich, mich dagegen zu wehren. Aber seine eiskalten Finger tanzten mit solch einem Geschick über meine Haut, dass ich schnell merkte, wie mein Körper zu beben begann. Ich konnte nichts dagegen tun. Mit angespannten Bauchmuskeln brach ein freudloses Lachen aus meiner Kehle hervor.
Ich wand und wälzte mich, versuchte, ihm zu entkommen, doch der Mahaha hatte mich fest im Griff. Ich kam mir vor wie ein Spielzeug.
Gleichzeitig spürte ich immer wieder, wie seine Klauen mir ins Fleisch schnitten. Aber ich konnte nichts tun als Lachen. Ich bekam keine Luft mehr, hatte keinerlei Kraft in den Armen, um mich zu wehren. Und die ganze Zeit sah ich dabei nur dieses schrecklich grinsende Gesicht über mir.
Tränen stiegen mir in die Augen. Mein ganzer Körper schrie nach Sauerstoff, doch während des Lachens hatte ich keine Möglichkeit, einzuatmen. Das war es also, was den anderen Opfern widerfahren war.
Plötzlich wurde mir die Kälte des Schnees unter mir schmerzlich bewusst. Ich lag ganz allein hier draußen, fernab jeglicher Zivilisation. Ich würde einsam sterben, mit keiner Begleitung außer dieses noch immer lachenden Monsters über mir. Das letzte, was ich sehen würde, war sein widerwärtiges Grinsen.
Wie aus dem Nichts ertönte in genau dem Moment ein Donnern. Der Mahaha ließ von mir ab, wurde zur Seite gerissen.
Ich rang nach Luft, während ich mich schnell aufrichtete, um mich nach dem Mahaha umzusehen. Er hockte keinen halben Meter neben mir im Schnee. Sein Lachen war zu einem leisen Kichern geworden. Es klang irgendwie wehmütig. Auch konnte ich jetzt rote Flecken auf seiner blauen Haut erkennen.
„Schnell. Steigen Sie auf!“, rief eine Stimme hinter mir. Simone Nanuq saß auf einem Schneemobil, dessen ratterndes Geräusch ich erst jetzt bemerkte. Im Anschlag hatte sie eine Schrotflinte, die sie noch immer auf den Mahaha gerichtet hielt.
„Frau Nanuq!“, rief ich überrascht.
„Ja, ich bin es, Officer Johnson. Enoki hat mich angerufen“, erwiderte sie hastig. „Und jetzt steigen Sie endlich auf! Ich hatte nur einen Schuss!“
Das ließ ich mir kein drittes Mal sagen. So schnell ich konnte, rappelte ich mich auf. Mein blutender Bauch schmerzte bei jeder Bewegung, aber mein Adrenalin und die Angst trieben mich voran. Ich rannte zu Frau Nanuq und schwang mich hinter ihr aufs Schneemobil.
Das wiederum schien dem Mahaha zu missfallen. Ich sah bereits, wie er wieder auf die Beine kam, um die Verfolgung aufzunehmen. Die Schussverletzung schien ihn nicht sonderlich zu behindern.
Im nächsten Moment stürmte er auch schon auf uns zu. Diesmal auf allen vieren. Zum Glück reagierte Frau Nanuq mindestens genauso schnell. Ich konnte mich gerade noch an der viel zu niedrigen Rückenlehne meines Sitzes festhalten, da jaulte der Motor des Schneemobils auch schon auf. Rasch setzten wir uns in Bewegung.
Frau Nanuq steuerte aber nicht die Straße an. Sie fuhr nicht zurück in die Stadt, wie ich gedacht hätte. Stattdessen bewegten wir uns direkt auf den zugefrorenen Fluss zu.
„Was machen Sie denn?“, brüllte ich. „Das Eis ist niemals dick genug, um das Schneemobil zu tragen! Es war die letzten Tage viel zu warm!“
Ich erinnerte mich noch gut daran, dass der Fluss nicht einmal vollständig gefroren war, als das Opfer entdeckt wurde.
Aber Frau Nanuq konnte mich entweder nicht hören oder sie ignorierte mich. Ein Blick nach hinten verriet mir jedoch, dass es so oder so egal gewesen wäre. Der Mahaha war näher, als ich befürchtet hatte. Wenn wir jetzt abbogen, würde er uns wahrscheinlich einholen.
Die Panik in mir kochte über. Mein Herz schlug mir bis in die Brust. Ich musste mich mit aller Kraft davon abhalten, meinen Instinkten zu folgen und einfach vom Schneemobil zu springen. Dann hatten wir den Fluss erreicht.
Die ersten Meter glitten wir noch problemlos über das Eis. Hier am Rand war es definitiv dick genug. Dann ertönte jedoch ein lautes Knacken, das ich sogar über den Motor hinweg hören konnte. Eisiges Wasser spritzte auf, wurde von der Raupe des Schneemobils hochgewirbelt. Schmerz zuckte durch meinen Bauch, als die Spritzer meine Wunden trafen, aber ich traute mich nicht, die Rückenlehne loszulassen, um den Arm vor die freie Haut zu halten.
Danach ging alles sehr schnell. Es kam mir vor, als würde mein Herz stehenbleiben, während ich darauf wartete, dass das Schneemobil unterging. Doch das tat es nicht. Das Eis brach und splitterte, aber die Kufe des Fahrzeugs schafften es irgendwie, uns auf der Oberfläche zu halten.
Mein nächster Blick galt dem Mahaha. Er war noch immer hinter uns, musste einen Umweg um das gebrochene Eis herum nehmen. Dann plötzlich sackte sein Bein weg. Das dünne Eis brach unter ihm, riss ihn in die Tiefe. Ich sah, wie er panisch versuchte, sich an dem Eis festzuhalten, sich aus dem Wasser zu ziehen. Aber er brach wieder ein.
Er langte um sich, versuchte, neuen Halt zu finden, aber die Strömung unter der Eisoberfläche musste unglaublich stark sein. In einem Moment war er noch da, unsere Blicke trafen sich, sein Grinsen wirkte jetzt voller Verzweiflung, dann wurde sein Kopf Unterwasser gerissen und das Monster war verschwunden.
Inzwischen hatten wir wieder festes Eis unter dem Schneemobil. Frau Nanuq fuhr aber noch weiter, bis wir das andere Ufer erreichten. Erst dann blieben wir stehen.
Gemeinsam betrachteten wir den Fluss. Im Halbdunkel wirkte die Landschaft jetzt wieder völlig friedlich. Lediglich das Loch im Eis wies darauf hin, dass hier überhaupt etwas geschehen war.
„Mistvieh!“, stieß Frau Nanuq neben mir plötzlich aus.
Ich musterte sie einen Moment. Diese kleine Frau mit den langen grauen Haaren, die ich bis vorhin noch für eine Verrückte gehalten hatte, hatte mir das Leben gerettet.
„Frau Nanuq. Ich … Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht geglaubt habe. Wie kann ich das je wieder gutmachen?“, fragte ich.
Aber sie winkte ab. „Bitte. Nenn mich Simone“, sagte sie. Sie lächelte mich aufmunternd an.
„Randy“, stellte auch ich meinen Vornamen vor.
„Also Randy, was hast du jetzt vor?“
Ich sah noch einmal zum Fluss. Dann fasste ich mir an den inzwischen blutverschmierten Bauch. „Zuerst muss ich meine Wunden versorgen. Und danach muss ich mich bei Enoki entschuldigen. Es tut mir wirklich leid, dass ich euch beiden nicht geglaubt habe.“
Bleibt auf dem neusten Stand und folgt mir auf:





Die Legende:
Der Mahaha ist ein Monster der Inuit-Mythologie. Er ist dafür bekannt, seine Opfer im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode zu kitzeln.
Aussehen:
Den Legenden der Inuit zufolge hat der Mahaha ein menschenähnliches Äußeres mit blasser bis bläulicher Hautfarbe. Sein Körper ist sehr dünn und sehnig, unter seiner Haut sollen sich aber kräftige Muskeln spannen.
Außerdem soll er lange scharfe Fingernägel an seinen langen knochigen Fingern haben.
Seine Augen werden oft als weiß oder blau beschrieben. In einigen Quellen habe ich gelesen, dass er keine Iris habe, in anderen war lediglich von stechenden bis leuchtenden Augen die Rede, die durch sein langes Haar scheinen, das ihm strähnig ins Gesicht hängt.
Was seine Kleidung angeht, sind die Beschreibungen eher schwammig, was aber vor allem daran liegen könnte, dass er nur wenig bis gar keine Kleidung tragen soll. Auf den Bildern hingegen wird er meist mit einer kurzen oder an den Oberschenkeln abgerissenen Hose dargestellt.
Am markantesten dürfte hingegen sein durchgehendes boshaftes Grinsen mit seinen vielen spitzen Zähnen sein.
Eigenschaften:
Der Mahaha wird oft als eine Art arktischer Dämon beschrieben.
Er lauert nachts in der Dunkelheit, meist in der Wildnis knapp außerhalb von Gemeinschaften, und gibt sich nur durch sein durchgehendes Kichern und Lachen zu erkennen.
Trifft er auf einen Menschen, der in der Wildnis unterwegs ist, greift er ihn an und kitzelt ihn im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode. Dafür zerreißt er ihre Kleidung mit seinen scharfen Fingernägeln. Auch soll er ihm beim Kitzeln blutige Schrammen zufügen. Die Leichen bleiben daraufhin mit einem zu einem schmerzerfüllten Lachen verzerrten Gesicht zurück.
Außerdem wird ihm nachgesagt, dass er übernatürlich stark sei und sehr schnell laufen könne. Dem Buch „Mahahaa“ (2023) zufolge läuft er dabei manchmal auf allen vieren.
Es gibt jedoch auch Möglichkeiten, wie man einen Mahaha austricksen kann. So habe ich diverse Geschichten gelesen, in denen die Protagonisten den Mahaha dazu gebracht haben, sich über ein Wasserloch im Eis zu beugen. Z. B. haben sie ihn dazu gebracht, etwas von dem Wasser trinken zu wollen, woraufhin sie ihn in das Loch gestoßen haben.
In anderen Geschichten haben sie ihn auf dünnes Eis gelockt oder mit Gewalt zu dem Loch befördert. Fast alle Geschichten endeten damit, dass der Mahaha von der starken Strömung fortgerissen wurde und ertrunken ist oder zumindest in dem Gewässer eingesperrt wurde.
Lebensraum/Vorkommen:
Da es sich um eine Legende der Inuit handelt, kommt der Mahaha hauptsächlich in der nordkanadischen Arktis vor. Dort soll er sich in den Randgebieten um die Gemeinden der Inuit, bzw. in moderneren Erzählungen auch um die Gemeinden der nicht-Inuit herum, aufhalten.
Ursprung:
Der genaue Ursprung des Mahaha ist nicht bekannt, da seine Geschichten über viele Generationen hinweg ausschließlich mündlich weitergegeben wurden. Man weiß nur, dass die Legende von den Inuit stammt.
Ich habe aber gelesen, dass es bei Leichen von Leuten, die erfroren sind, manchmal zu einer Art Grinsen oder Lächeln kommen kann, das aufgrund der Kontraktion der Gesichtsmuskeln bei extremer Kälte entsteht. Ob diese Behauptung stimmt, konnte ich zwar nicht herausfinden, aber es gibt die Theorie, dass einige Inuit erfrorene Leichen mit diesem verzerrten „Grinsen“ gefunden haben und daraus die Legende entstanden sei.
Seitdem dient die Legende als Kinderschreck, damit die Kinder sich nicht zu spät und vor allem nicht allein außerhalb der Gemeinden herumtreiben.
Mahaha in der Popkultur:
Es gibt ein Buch über den Mahaha, das denselben Namen trägt: „Mahahaa“ (2023) von Jeela Palluq-Cloutier und Neil Christopher ist ein zweisprachiger Roman (Englisch und Inuktitut), der das Monster behandelt.
Ich kann das Buch jedoch nur Folklore/Mythologie-Nerds und Leuten, die Interesse haben, Inuktitut zu lernen, empfehlen, da es für den wenigen Inhalt (40 Seiten mit sehr wenig Text, dafür aber vielen Illustrationen) leider doch recht teuer ist.
Was haltet ihr von dem Mahaha? Kanntet ihr die Legende bereits? Oder kennt ihr vielleicht andere Inuit-Legenden? Schreibt es in die Kommentare!
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ohh super ^^ von den Inuit kannte ich noch keine legenden. ich mag die Handlung der Geschichte sehr ^^
Ich hab noch ein paar mehr Inuitlegenden auf der Liste stehen. Mal sehen, vllt. kommen bald ja noch ein paar mehr Beiträge in die Richtung. ^^
Und das freut mich! Mir persönlich hat das Schreiben/Planen der Geschichte auch sehr viel Spaß gemacht. 😄