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Betobeto-san Zeichnung von Jeremie Michels. Das Bild zeigt eine enge Straße einer japanischen Kleinstadt bei Nacht. Die meisten Gebäude sind dunkel, lediglich in einem Laden brennt noch licht. In der Ferne sind drei Straßenlaternen zu sehn, während der Vordergrund von einem roten Lampignon erhällt wird. Auf der düsteren Straße sind sind sieben "Klack!" Geräusche eingezeichnet, die im Zickzack auf den Betrachter zukommen.
Betobeto-san (2021)

Betobeto-san

Betobeto-san ist ein Gespenst aus Japan. Wenn man nachts allein unterweg ist, kann man manchmal seine Schritte hinter sich hören.

Die Geschichte:

Du kennst sicherlich dieses ungute Gefühl, verfolgt zu werden, wenn du nachts allein unterwegs bist – das kennen wir wohl alle. Immer wieder drehst du dich um, um zu gucken, ob du wirklich alleine bist. Du atmest erleichtert auf, weil die Straße hinter dir leer ist, fühlst dich für einen Moment sicher, bis das Gefühl zurückkommt oder du endlich angekommen bist. Was ist aber, wenn du zwar niemanden sehen, deinen Verfolger jedoch hören kannst?

Denn genau so erging es mir in jener Nacht. Der Nacht, in der ich Betobeto-san begegnet war.

Ich kam gerade vom Tennis, wo ich mich eben von meinen Mitspielerinnen und dem Trainer verabschiedet hatte. Wie jeden Sommer ging ich die Strecke zu Fuß zu meinem Onkel und meiner Tante, bei denen ich wohnte. Das mag zu der späten Uhrzeit vielleicht ungewöhnlich sein – besonders, da ich erst 15 war –, aber ich liebte die warmen Sommernächte wirklich sehr.

Außerdem waren es nur etwa 8 Minuten Fußweg und die Straßen waren trotz der abgelegenen Gegend gut beleuchtet. Es kam nur selten vor, dass ich mich hier unwohl fühlte. Und selbst wenn, war ich bisher wohl noch nie tatsächlich in Gefahr gewesen.

Eine Fahrradklingel hinter mir riss mich aus meinen Gedanken. Ich trat an den Rand des Bürgersteiges.

„Schönen Abend, Aoyama-san. Wir sehen uns nächste Woche“, rief ein Mädchen, als sie an mir vorbeiraste. Das war Saitou-san. Sie war die beste Tennisspielerin in unserem Team. Und auch wenn ich sie kaum kannte, lächelte ich ihr nach. Oft war sie die einzige Person, der ich nach dem Training auf der Straße begegnete.

Und so ging ich verträumt weiter. Ich atmete die warme Luft ein und genoss das Gefühl, zu der späten Stunde noch ein T-Shirt tragen zu können, ohne zu frieren, während im Hintergrund die Zikaden zirpten. Ich war glücklich.

Das war der Moment, als ich ihn das erste Mal hörte. Klack, klack, klack. Irgendwo hinter mir ertönte ein seltsames Geräusch. Es war ein hoher Ton, als würde Holz gegen Holz schlagen oder jemand mit Holzsandalen über die Straße gehen.

Irritiert blieb ich stehen. Das Geräusch verstummte. Ich drehte mich um und sah die Straße entlang. Links und rechts standen alte Häuser, die meisten von ihnen aus Stein und Holz gebaut. Vom Aussehen her würde man sie im Westen wohl als klassisch japanisch bezeichnen.

Auf der rechten Seite konnte ich außerdem in etwas Entfernung einen Tempel sehen, der mehrere Stockwerke hoch war und die anderen Häuser überragte. Ansonsten sah ich nichts. Abgesehen von einigen angeschlossenen Fahrrädern, einem Blumentopf, der bei einem Hauseingang stand und den Laternen war nichts und niemand zu sehen.

Ich zuckte kaum merklich mit den Schultern, drehte mich wieder nach vorn und ging weiter. Doch sobald ich meinen Fuß wieder auf den steinernen Boden setzte, erklang das Geräusch erneut: Klack.

Wieder drehte ich mich um, diesmal etwas misstrauischer. Was konnte das nur sein? Angestrengt starrte ich die Straße entlang. Jetzt versuchte ich, auch an den Orten zwischen den Laternen etwas zu sehen, wo die Straße im Schatten lag. Aber so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht erkennen, wo das Geräusch hergekommen war. Kam es vielleicht aus einem der Häuser?

Ich lauschte angestrengt, ob das Klacken zurückkam, doch außer den Zikaden blieb es vollkommen ruhig.

Mehr verwirrt, als beunruhigt entschied ich, weiterzugehen. Aber jedes Mal, wenn meine Sohle den Gehweg traf, erklang das Geräusch erneut. Klack, klack. Es war fast so, als ahmte es meine Schritte nach. Ich versuchte, es zu ignorieren, doch nach einigen weiteren Metern hatte ich Gewissheit: Das Geräusch entstand immer nur dann, wenn ich den Fuß absetzte. Jedes mal, wenn ich stehenblieb, verstummte auch das Geräusch, und wenn ich schneller ging, wurde das Geräusch häufiger.

So plötzlich und unerwartet, wie ich konnte, drehte ich mich mitten in der Bewegung um, in der Hoffnung irgendetwas zu entdecken. Nichts.

„Hallo? Wer ist denn da?“, rief ich unsicher.

Doch mir antworteten nur die Zikaden mit ihrem durchgehenden Zirpen.

Die nächsten Paar Schritte ging ich rückwärts, um die Straße im Auge zu behalten. Wieder hörte ich die Geräusche, doch außer einer Motte, die um eine Laterne schwirrte, bewegte sich nichts.

Mit einem unguten Gefühl im Magen drehte ich mich wieder um und ging weiter die Straße entlang. Wenn ich gleichmäßig ging, klang es tatsächlich wie Schritte, die mich verfolgten. Aber wieso konnte ich dann niemanden sehen?

Um ganz sicherzugehen, überprüfte ich sogar meine Schuhe. Nicht dass irgendetwas unter ihnen klemmte, das die Geräusche verursachte. Wieder wurde ich enttäuscht.

Ach, das ist bestimmt nur Zufall‘, versuchte ich, mir einzureden.

Aber wie konnte es nur Zufall sein? Wie könnte ein Zufall meine Schritte so perfekt mit Geräuschen unterlegen.

Inzwischen merkte ich, wie ich eine Gänsehaut bekam. Meine Hände wurden schwitzig und mit jedem Schritt, mit jedem ‚Klack‘, wurde es schlimmer.

Klack, klack, klack, klack, klack.

Ich verfiel in Panik. Schließlich rannte ich los. Ich wusste nicht, was das Geräusch war, ob es gefährlich war oder nicht, aber ich wollte nicht lange genug hierbleiben, um es herauszufinden.

Zum Glück war ich eine schnelle Läuferin. Wenn mich nicht gerade ein Athlet verfolgte, hätte ich bei den meisten Erwachsenen wohl kein Problem gehabt, sie abzuhängen. Außerdem klammerte ich mich noch immer an die schwindende Hoffnung, dass das Geräusch nur der Wind war, der irgendwelche Gegenstände aneinanderschlug.

Zu meinem Entsetzen entfernten sich die mysteriösen Schritte aber nicht. Im Gegenteil: Sie kamen näher. Und näher. Und näher.

Einige Straßen weiter war ich bereits völlig aus der Puste. Meine Atmung war unregelmäßig, da ich immer wieder die Luft anhielt, um auf die Schritte zu achten. Ich bekam sogar Seitenstechen, obwohl ich normalerweise nie ein Problem damit hatte.

Trotzdem zwang ich mich, weiter zu rennen. Die Schritte hatten mich inzwischen fast eingeholt. Ein flüchtiger Blick verriet mir hingegen, dass hinter mir nichts war – oder besser gesagt nichts, das ich sehen konnte. Denn was auch immer mich da verfolgte, es war kein Mensch, dessen war ich mir inzwischen sicher. Und ich hatte keine Lust, herauszufinden, was es mit mir vorhatte.

Ich hetzte um eine Kurve, hielt mich dicht an der Hauswand zu meiner Rechten, wechselte dann die Straßenseite, aber was ich auch versuchte, ich schaffte es nicht, meinen Verfolger abzuschütteln.

Schließlich kam, was kommen musste: Zwei Straßen vom Haus meiner Tante entfernt, hatten die Schritte mich eingeholt und es geschah … nichts. Obwohl die Schritte klangen, als seien sie keinen halben Meter hinter mir, wurde ich nicht angesprungen. Ich spürte keine großen Hände, die mich packten, oder Klauen, die in meinen Rücken gerammt wurden.

Trotzdem wurde ich nicht langsamer. Auch traute ich mich nicht mehr, einen Blick über meine Schulter zu werfen, voller Angst, was ich dort sehen könnte. Ich hielt meinen Kopf gerade und starrte stur geradeaus, bis ich endlich vor unserer Haustür stand. Dort hämmerte ich mit den Fäusten so lange dagegen und klingelte Sturm, bis mein Onkel schließlich die Tür öffnete. Ich fiel ihm fast in die Arme.

„Rin, was ist passiert?“, fragte er entsetzt.

Aber bevor ich auch nur ein einziges Wort sagen konnte, beugte ich mich vor und übergab mich in den Flur.

Mein Onkel und meine Tante waren sofort zur Stelle. Er wischte den Boden auf, während sie mich zu einem Stuhl brachte. Trotzdem brauchte ich noch einen Moment, ehe ich es schaffte, ihnen zu erzählen, was passiert war.

Mein Onkel lächelte wissend. Er kannte sich mit Geistern aus und war angeblich schon vielen begegnet. „Alles ist gut, Rin. Du bist in Sicherheit.“, sagte er ruhig. „Was du heute gehört hast, war ein Wesen namens Betobeto-san. Ich weiß, wie beängstigend er sein kann – ich bin ihm als Kind selbst einmal begegnet.“

Das war normalerweise die Stelle, an der meine Tante mit den Augen rollte oder lautstark seufzte, doch heute hörte auch sie gespannt zu.

„Er verfolgt Leute, die nachts allein unterwegs sind, ist aber nicht gefährlich. Um genau zu sein, musst du ihn nur darum bitten, an dir vorbei zu gehen, und er lässt dich in Ruhe.“ Mein Onkel hob demonstrativ die Hand, als wolle er jemanden an sich vorbei bitten. „Nach dir, Betobeto-san.“

Ich weiß nicht, ob es wirklich Betobeto-san gewesen war, der mich an jenem Tag verfolgt hatte. Auch hatte ich seine Schritte nie wieder gehört, um den Tipp meines Onkels auszuprobieren. Aber ich glaubte ihm. Denn was sollte es sonst gewesen sein?

Und so erzähle ich auch heute noch jedem, der sie hören will, meine Geschichte von Betobeto-san. Also habt keine Angst, wenn ihr seine Schritte nachts hinter euch hört. Alles, was ihr braucht, ist ein kleines bisschen Respekt und Freundlichkeit.

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Die Legende:

Betobeto-san ist ein Yōkai, der nachts einsame Menschen auf der Straße verfolgt. Sie können ihn nicht sehen, hören hinter sich aber immer das Geräusch seiner Schritte.

Das „Beto beto“ im Namen ist Lautmalerei und soll das Geräusch von Schritten darstellen. Daher wird Betobeto-san im Englischen auch manchmal „Mr. Footsteps“ (englisch für „Herr Schritte“) genannt.

Aussehen:

Laut den Legenden ist Betobeto-san ein formloses Wesen. Er besitzt also keinen Körper und ist nur an seinen Geräuschen zu erkennen. Somit hat er auch kein Aussehen.

Seit den 1950er bis 1960er Jahren findet man jedoch immer wieder Illustrationen von Betobeto-san. Darauf sieht er meist wie eine Kugel aus, die einen großen, grinsenden Mund und zwei Beine besitzt. An seinen Füßen trägt er Geta – japanische Holzsandalen.

In der Stadt Sakaiminato in der Präfektur Tottori in Japan steht sogar eine Statue von Betobeto-san mit diesem Aussehen.

Eigenschaften:

Betobeto-san ist dafür bekannt, Leute zu verfolgen, die nachts allein auf den leeren Straßen Japans unterwegs sind. Da man ihn nicht sehen kann, hört man nur das Klackern seiner Geta – den japanischen Holzsandalen – hinter sich. Wenn man sich jedoch umdreht, um nachzusehen, wer einen verfolgt, ist die Straße leer.

Er geht dabei immer genau so schnell, dass er mit seinen Opfern mithält und mit jedem Schritt ein kleines Stückchen näher kommt. Egal, ob man geht oder rennt, man kann ihn nicht abschütteln.

Aber obwohl diese Begegnung sehr furchteinflößend sein kann, ist Betobeto-san nicht gefährlich. Selbst, wenn er einen einholt, tut er nichts.

Man kann ihn sogar sehr leicht loswerden, indem man ihm Platz macht und sagt: „Nach dir, Betobeto-san.“ Daraufhin soll man ihn an sich vorbeigehen hören, bis er verschwunden ist.

Lebensraum/Vorkommen:

Betobeto-san ist vor allem in Japan bekannt. Daher gibt es dort auch die meisten angeblichen Sichtungen.

Er treibt sich nachts in engen Gassen und auf leeren Straßen herum.

Ursprung:

Wie bei so vielen Yōkai war es für mich nicht einfach, Informationen über den Ursprung herauszufinden. Ich weiß daher nicht, zu welcher Zeit die Legende von Betobeto-san entstanden ist.

Die frühsten Berichte, die ich über Begegnungen mit Betobeto-san gefunden habe, stammen jedenfalls aus dem frühen 20. Jahrhundert.

Besonders beliebt wurde er aber erst in den 50er bis 60er Jahren, als der Manga-Zeichner Shigeru Mizuki einen Betobeto-san in seiner Mangareihe GeGeGe no Kitarō eingebaut hat. Er gab ihm auch sein heute bekanntes Aussehen einer Kugel mit großem, grinsendem Mund, das ihn besonders bei Kindern beliebt gemacht hat.


Habt ihr nachts auch manchmal das Gefühl, verfolgt zu werden, wenn ihr allein unterwegs seid? Wie würdet ihr euch verhalten, wenn ihr zusätzlich Schritte hören könntet, die langsam näher kommen? Schreibt es in die Kommentare?

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9 Kommentare

  1. Mirjam schreibt:

    Hallo Jeremie,

    ein wundervoller Artikel über den Lieblings-Yokai meiner Kinder 😉 Durch den großen Meister Shigeru Mizuki und dessen ebenso zauberhafte Werke sind wir letztes Jahr alle total in die Welt der Yokai eingetaucht. Tatsächlich wird Beto-Beto seit der Bewusstwerdung seiner Existenz auch regemäßig auf den Wegen vorbeigelassen.

    Toller Beitrag! Ich werde Deinen Blog gerne und aufmerksam verfolgen *-*

    Liebe Grüße

    • Jeremie Michels schreibt:

      Hallo Mirjam,

      es freut mich, dass du auf meinen Blog gefunden hast und dir meine Beiträge gefallen. Ich möchte aber direkt vorwarnen, dass es durchaus einige sehr viel düsterere und unschönere Beiträge gibt, als den über Betobeto-san. 😅
      Trotzdem wünsche ich dir natürlich sehr viel Spaß und viel Spaß beim Gruseln! ^^

  2. Rabbat07 schreibt:

    Wie ich jede Woche geschaut hab ob eine neue Geschichte da ist, und ich jetzt Mal 4 Wochen Ruhe gab, und auf einmal kommt ne Geschichte 😂

    • Jeremie Michels schreibt:

      Ja, letzten Monat hatte ich leider sehr viel um die Ohren und diesen Monat schaffe ich es wieder nicht so, wie ich möchte … Aber dieses Wochenende setze ich mich an einen neuen Artikel! 😀

  3. Lilia schreibt:

    Also regulär habe ich keine Angst Nachts draußen spazieren zu gehen. Ich fürchte mich höchstens an einer Stelle Nähe meines Zuhauses, wo die Büsche an der Straße immer relativ gruselig sind. Das Gefühl verfolgt zu werden hatte ich, ehrlich gesagt noch nie, aber ich achte da auch nicht drauf. Aber wenn ich hinter mir Schritte hören würde, würde ich immer erst weitergehen und erst nach einer Zeit mich umdrehen. Wenn da nichts ist, die Schritte aber nach dem umdrehen näher kommen, würde ich definitiv mein Tempo erhöhen. An Betobeto-san würde ich kaum denken, zumal ich ihn erst jetzt kenne 😆
    Wie immer ein guter Beitrag^^

    • Jeremie Michels schreibt:

      Tut mir leid für die späte Antwort, die Woche war etwas viel los. ^^‘

      Wirklich nicht? Ich stell mir immer vor, wie in jedem Auto jemand sitzen könnte, der bloß die Tür aufreißen und mich hineinzerren müsste … Und das, obwohl ich sonst nicht einmal wirklich ängstlich bin. xD
      Ich würde jedenfalls durchdrehen, wenn ich plötzlich Schritte hinter mir höre, aber niemanden sehen kann. ^^

      • Lilia schreibt:

        Tja, ich denke, dass ein großes Problem oder wohl eher ein großer gute Punkt in dem Thema wäre, dass ich absolut keine große Angst vor dem Tod habe XD Schlussfolgerung: Ich habe keine große Angst vor Mördern sondern eher vor Entführern, da ich aber immer erst an Mörder denke, bekomme ich keine große Angst und reagiere eher so…

        • Jeremie Michels schreibt:

          Ich habe auch keine Angst vor dem Tod – oder zumindest nicht vor dem, was danach kommt oder nicht kommt. Aber ich hätte Angst vor einer Entführung, einem Überfall, einem schmerzhaften Tod, einer schlimmen Verletzung oder was mir sonst noch so mitten in der Nacht angetan werden könnte. ^^‘

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