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Babi Ngepet Zeichnung von Jeremie Michels. Das Bild zeigt ein Wildschwein, das mit gesenktem Kopf nahe einer Hauswand steht.
Babi Ngepet (2023)

Babi Ngepet – Gefährliche Gier

Das indonesische Babi Ngepet Ritual verspricht jedem, der es ausführt, eine Menge Geld. Trotzdem kann es, gerade in Indonesien, ein sehr gefährliches Unterfangen sein. Warum das so ist und was es mit dem Ritual auf sich hat, erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Viel Spaß beim Gruseln!

Triggerwarnungen

– Tod

– Tod eines Tieres

Die Geschichte:

Indonesien ist ein Land mit vielen Legenden. Obwohl ich eine gläubige Muslima bin, haben meine Eltern und Großeltern mir oft Geschichten von übernatürlichen Wesen und Ritualen erzählt, an die die Menschen in Indonesien seit Jahrhunderten glauben. Und auch, wenn ich neben Allah eher den wissenschaftlichen Ansatz verfolgte, hatte ich schon immer das Gefühl, dass es mehr da draußen geben musste.

Trotzdem hatten mich weder mein Glaube noch mein Aberglaube auf jenen Tag vorbereiten können, als ich dem Übernatürlichen das erste Mal begegnete.

Es war ein Tag wie jeder andere. Nichts deutete darauf hin, dass gerade irgendwo in der Nachbarschaft ein schwarzmagisches Ritual durchgeführt wurde.

Ich war im Anwesen von Mulyadi, erledigte den Haushalt und brachte ihm und seinen Gästen gelegentlich Tee, einen Snack oder was auch immer sie sonst von mir verlangten. Als Dienstmädchen war das meine Pflicht.

„He, Annisa, sei so gut und bring uns die Zigarren“, forderte Mulyadi mich auf. „Der Kasten steht auf dem kleinen Tisch im Esszimmer.“

„Natürlich, Bapak Mulyadi“, erwiderte ich höflich, ehe ich mich mit gesenktem Haupt in den Flur begab. Ich hörte noch, wie er bei seinen Freunden damit angab, wie teuer die Zigarren gewesen waren.

Im Flur entfuhr mir ein schweres Seufzen. Wie konnte ein Mensch nur so verdorben sein? Mulyadi hatte mehr Geld, als er im Leben ausgeben konnte. Er ließ sich keine Gelegenheit entgehen, damit anzugeben. Daran, mit dem Geld etwas Gutes oder Sinnvolles zu tun, dachte er hingegen nie.

Zum Beispiel wusste er, dass ich mit meinem Lohn nicht nur mich versorgen, sondern seit Papas Unfall auch meine Eltern unterstützen musste. Anstatt mir aber als langjähriger Angestellten unter die Arme zu greifen oder mir wenigstens ein faires Gehalt für meine Arbeit zu zahlen, nutzte er aus, dass er der einzig passende Arbeitgeber in der Nähe meiner Eltern war. Er hatte mir unter einem Vorwand den Lohn gekürzt, als er gemerkt hatte, dass ich auf die Stelle angewiesen war.

Während ich weiterging, schüttelte ich den Kopf. Nein. Ich sollte mich nicht beschweren. Ich klang schon fast wie Adi, mein fester Freund. Allah hatte mir ein gutes Leben geschenkt. Auch wenn mein Lohn etwas zu niedrig war, kam ich immer über die Runden. Außerdem bekam ich bei Mulyadi immer gutes Essen, war gesund und hatte einen tollen Freund, der mich sehr liebte. Was wollte ich mehr?

Im Esszimmer angekommen, schaltete ich das Licht ein. Sofort sprangen mir die hellen Wände, der edle Holztisch und ein lebensgroßes Porträt von Mulyadi ins Auge. Auf den zweiten Blick sah ich auch das Zigarrenkästchen. Es lag auf dem ebenfalls hölzernen Beistelltisch. Direkt daneben stand ein kleiner, goldener und – wenn ihr mich fragt – potthässlicher Kerzenhalter. Mulyadi hatte ihn sich nur geholt, weil er so unverschämt teuer gewesen war.

Mit gemächlichen Schritten ging ich weiter. Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen, überprüfte flüchtig, ob alle Stühle ordentlich am Tisch standen, und trat schließlich an den Beistelltisch.

Plötzlich stockte ich. Ich hatte gerade nach dem Zigarrenkästchen greifen wollen, als mein Blick auf den goldenen Kerzenhalter fiel. Oder genauer gesagt den Ort, an dem der Kerzenhalter eben noch gestanden hatte. Der Platz neben dem Zigarrenkästchen war leer. Wie … wie war das möglich?

Während ich mich verwirrt im Zimmer umsah, arbeitete mein Hirn auf Hochtouren. Kurz überlegte ich, ob er die ganze Zeit schon weg gewesen war und ich ihn mir bloß eingebildet hatte. Aber nein, dazu hatte ich ihn eben zu genau angesehen.

Andererseits lag er nicht auf dem Boden. Auch konnte sich niemand an mir vorbeigeschlichen haben. Das hätte ich bemerkt. Mir fiel keine logische Erklärung ein, wo der Kerzenhalter hin verschwunden sein könnte.

Dann kam mir ein anderer Gedanke. Ein Gedanke, der mir so lächerlich vorkam, dass er gar nicht stimmen konnte. Es gibt im indonesischen Volksglauben eine Magie namens Pesugihan. Angeblich konnte man mit dieser Magie über Nacht reich werden – wenn auch nicht unbedingt auf legale Weise. Und rein zufällig hatte ich mit meinem Freund erst vor ein paar Wochen über ein Pesugihan-Ritual gesprochen: dem Babi Ngepet Ritual.

Auf der Insel Java weiß wahrscheinlich jeder, was ein Babi Ngepet ist. Durch ein Ritual kann sich ein dunkler Magier in eine Art Wildschwein, das Babi Ngepet, verwandeln. Wenn sich der Magier nun in Schweinegestalt an einer Hauswand rieb, verschwanden auf magische Weise Wertgegenstände und Geld aus dem Haus. Genau wie der Kerzenhalter vor mir.

Ich wäre wahrscheinlich nicht einmal auf die Idee gekommen, wäre mir nicht das Gespräch eingefallen, das Adi und ich geführt hatten. Er hatte mich gefragt, ob wir es nicht einfach einmal versuchen sollten. Er kenne da einen Dukun, einen Schamanen, der auf so etwas spezialisiert sei. Wenn ich so drüber nachdachte, war er erstaunlich gut über das Ritual informiert gewesen, auch wenn ich ihn damals nicht ernstgenommen hatte.

Ich hatte ihn abgewiesen, ihm erklärt, dass Allah solche Magie nicht gutheißen würde. Auch hatten wir rumgealbert. Ich hatte gemeint, dass er bestimmt selbst als Wildschwein unverschämt gutaussehen würde. Er hatte daraufhin Grunzgeräusche gemacht und ich hatte das Ganze als Scherz, als fixe Idee abgetan, die wir beide schnell wieder vergessen würden.

Und trotzdem … Trotzdem wurde ich das unwohle Gefühl nicht los, dass Adi etwas mit dem verschwundenen Kerzenhalter zu tun haben könnte.

Ohne weiter darüber nachzudenken, griff ich nach meinem Portemonnaie. Ich holte einen 50.000 Rupiah-Schein heraus und legte ihn vor mir auf den Beistelltisch.

In den nächsten Sekunden kam ich mir völlig bescheuert vor, während ich den Schein nicht aus den Augen ließ. Das war jedoch, bevor er sich in Luft auflöste.

Meine Kinnlade klappte herunter. Als würde ich noch immer nicht begreifen, was gerade passiert war, starrte ich das nackte Holz vor mir an.

Gleichzeitig gab es in mir eine Explosion aus Emotionen. Ich war entsetzt darüber, dass der Schein wirklich verschwunden war, an den Ritualen also wirklich etwas dran zu sein schien. Auch überlegte ich kurz, ob ich vielleicht den Verstand verlor oder halluzinierte. Aber vor allem hatte ich Angst. Ich hatte Angst davor, dass Adi das Ritual tatsächlich durchgeführt hatte.

Wusste er nicht, wie gefährlich es sein konnte? Wenn nachts im Dorf irgendwo ein Wildschwein gesehen wurde, wurde es sofort vertrieben, oder schlimmer noch, gejagt. Es war in der Vergangenheit oft genug vorgekommen. Und wenn jetzt auch noch jemand den Diebstahl bemerkte …

Ein plötzlicher Tumult im Haus riss mich aus meiner Starre. Männerstimmen riefen aufgeregt durcheinander. Schritte erklangen aus dem Flur. Türen schlugen.

Hastig rannte ich zurück in den Flur. Ich sah, wie Mulyadis Gäste wild durcheinander rannten. Die Haustür stand offen.

Dann entdeckte ich Bernard, den Koch, wie er völlig verwirrt dastand. Ich wich einem aufgeregten Mann aus, während ich zu ihm eilte.

„Bernard? Was ist passiert?“, fragte ich schnell.

„Isch weiß es nischt“, erwiderte er mit seinem französischen Akzent. Er wirkte erleichtert, dass jemand mit ihm redete. „Es wurde wohl irgendeine Uhr gestohlen, die auf dem Tisch lag. Danach ‘at irgendwer draußen ein Schwein gesehen. Bapak Mulyadi ‘olt gerade seine Waffe. Annisa, die Männer ‘aben ihren Verstand verloren!“

Bernards Worte klangen in meinen Ohren nach. Mulyadi holte gerade seine Waffe?!

Auch entging mir Bernards hoffnungsvoller Gesichtsausdruck nicht, dass ich ihm das Ganze irgendwie erklären konnte. Er wohnte noch nicht lange in Indonesien und kannte sich schon gar nicht mit unseren Legenden aus. Aber so gerne ich ihm auch geholfen hätte, hatte ich dafür keine Zeit. Nicht jetzt. Ich musste Mulyadi und seine Freunde aufhalten!

Im nächsten Moment sah ich Mulyadi aus dem Wohnzimmer kommen. Der Anblick seiner Pistole, die er fest in der Hand hielt, trieb mir einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter. Er hatte sie vor einigen Jahren illegal gekauft, um sich gegen Einbrecher schützen zu können.

Ich musste sämtliche Instinkte und meine komplette Ausbildung ignorieren, um mich ihm in den Weg zu stellen. Er sah mich irritiert an.

„Bapak Mulyadi, was ist los?“, fragte ich hastig.

Er runzelte die Stirn, war es nicht gewohnt, dass ich ohne vorherige Aufforderung oder dringendes Anliegen mit ihm sprach. „Vor meinem Haus treibt sich ein Babi Ngepet rum. Ich habe keine Zeit, zu reden!“, erwiderte er schroff, ehe er sich an mir vorbeidrängelte.

„Ein Babi Ngepet?“, fragte ich gespielt überrascht.

Mulyadi ignorierte mich. Er war im Begriff, nach draußen zu rennen, also griff ich nach seinem Handgelenk – eine Geste, die mich meinen Job kosten konnte. Er blieb verdattert stehen.

„Bapak Mulyadi. Warten Sie“, versuchte ich, Zeit zu gewinnen. „Sie wissen nicht, wie gefährlich das Tier ist. Wildschweine können ziemlich aggressiv werden, wenn sie sich bedroht fühlen. Und wenn das wirklich ein Babi Ngepet ist …“

Weiter kam ich nicht. Mulyadi hatte sich mir wieder zugewandt und packte mich mit der freien Hand fest an der Schulter. „Vergiss nicht deinen Platz, Annisa!“, fauchte er mich an. Er sah tatsächlich aus, als wäre er kurz davor, mir zu kündigen.

Ich hingegen verengte die Augen. In all den Jahren, die ich für ihn gearbeitet hatte, habe ich einiges über ihn in Erfahrung bringen können. Ich war die wahrscheinlich einzige Person im Dorf, die den wahren Mulyadi kannte. Den Mulyadi, den er vor den anderen Bewohnern und seinen Freunden verbarg. Ich kannte all seine schmutzigen Geheimnisse.

Wie gerne würde ich ihm das an den Kopf werfen. Ich könnte Zeit für Adi gewinnen, falls das Babi Ngepet tatsächlich er war.

Als ich jedoch in Mulyadis Augen sah, merkte ich, wie sinnlos das wäre. Die Gier in ihnen war zu groß. Er würde sich bloß unsanft losreißen und mir zu verstehen geben, dass wir das später klären würden.

Also ließ ich sein Handgelenk los. Ich zog leicht den Kopf ein, wollte ihm mit allen Mitteln zu verstehen geben, dass mein Verhalten mir leidtäte, und nuschelte eine Entschuldigung.

Mulyadi ging nicht weiter darauf ein. Schnell rannte er nach draußen zu seinen Freunden. „Ich werde dieses Mistvieh töten!“, hörte ich ihn schreien, ehe er die Tür hinter sich zuzog.

Meine Augen weiteten sich. Ich hatte ihn falsch eingeschätzt. Mulyadi war nicht getrieben von Gier, sondern von Wut. Wenn er das Babi Ngepet tötete, war sein Geld verloren. Aber das kümmerte ihn gar nicht. Er fühlte sich in seinem Stolz verletzt, in seiner Ehre, weil jemand es gewagt hatte, ihn zu bestehlen!

„Annisa? Was ist ’ier los? Was ist dieses Babi Ngepet, von dem ihr gesprochen ’abt?“, fragte Bernard.

Mit der Situation völlig überfordert, starrte ich ihn an. „Ich erklär dir alles später. Vorher muss ich erst was erledigen“, rief ich ihm eine halbherzige Entschuldigung zu, während ich bereits auf dem Weg nach draußen war.

„Annisa! Warte!“, rief Bernard mir nach.

Ich ignorierte ihn. Adi schwebte in Lebensgefahr!

Das Letzte, was ich hörte, war ein genervtes „’at denn ’ier jeder den Verstand verloren?“, ehe die Tür auch hinter mir ins Schloss fiel.

Draußen sah ich mich flüchtig um. Zu meiner Überraschung war von Mulyadi und seinen Freunden bereits nichts mehr zu sehen. Obwohl es dunkel war, konnte ich nirgends die Lichter ihrer Taschenlampen oder Handys erkennen. Das Einzige, was noch auf sie hindeutete, waren aufgeregte Rufe in der Ferne. Sie hatten in der kurzen Zeit eine beachtliche Strecke zurückgelegt.

Hieß das, dass sie das Babi Ngepet bereits gefunden hatten? Dass sie Adi bereits gefunden hatten? Verfolgten sie ihn schon?

Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, ihnen nachzulaufen. Aber wie sollte ich sie davon abhalten, meinen Freund zu erschießen? Was konnte ich schon ausrichten?

Wo ich hingegen etwas ausrichten konnte, war Adis Haus. Er hatte mir damals erklärt, dass es bei dem Ritual einen Notfallplan gäbe, eine Reißleine, die ich ziehen konnte, falls es für ihn brenzlich wurde. Es sei idiotensicher.

Seiner Erklärung nach, brauchte man zwei Menschen für das Ritual. Eine Person, die sich in das Babi Ngepet verwandelt, und eine andere Person, die eine brennende Kerze in ein Wasserbecken legt und sie nicht aus den Augen lässt. Sollte die Kerze zu flackern beginnen, war das Babi Ngepet in Gefahr. In dem Fall hätte ich sofort die Kerze auspusten sollen, um Adi in Sicherheit zu bringen.

Wie genau das funktionierte, wusste ich nicht. Aber ich vertraute Adi. Normalerweise wusste er, was er tat.

Nur gab es ein Problem: Wen hatte Adi damit beauftragt, auf die Kerze aufzupassen, nachdem ich abgelehnt hatte? War es jemand, dem er sein Leben anvertrauen konnte, oder war es ein geldgieriger Schamane, dem er nichts bedeutete?

Als ich endlich Adis Haus im Halbdunkel erkennen konnte, legte ich einen Endspurt ein. Im Inneren brannte kein einziges Licht. Trotzdem klingelte ich Sturm und hämmerte gegen die verschlossene Haustür, während ich völlig aus der Puste nach Luft rang.

„Bitte, wer auch immer da drin ist, Sie müssen die Kerze auspusten!“, rief ich, als ich endlich wieder halbwegs atmen konnte.

Einen Moment stand ich schweigend da, betete zu Allah, dass die Tür sich öffnete. Im Haus blieb es still.

Wieder klingelte ich mehrmals. „Bitte! Ein Mann hat eine Waffe! Sie werden ihn umbringen!“

Noch einmal hielt ich inne, hielt sogar den Atem an, um besser zu hören. Nichts. Wer auch immer da drinnen war, hatte keine Intentionen, die Tür zu öffnen.

Also rannte ich zum nächsten Fenster. Es war das Küchenfenster. Ich presste mein Gesicht an die Scheibe, versuchte, etwas zu erkennen. Aber drinnen war nichts als Schwärze.

Kurz machte ich mir Hoffnung. Vielleicht war das Babi Ngepet ja gar nicht Adi. Vielleicht war es jemand anderes aus unserem Dorf!

Im nächsten Moment hallte jedoch ein Knall durch die Luft. Trotz der Entfernung konnte ich ihn deutlich hören. Natürlich hätte das alles Mögliche sein können. Ein Motor, zum Beispiel. Aber nein, ich war mir sicher, dass Mulyadi gerade geschossen hatte.

All meine Hoffnung, dass Adi vielleicht gar nicht in Gefahr war, bröckelte vor meinem geistigen Auge weg. Ich sah nur noch eine Zukunft vor mir, die ich ohne ihn verbringen musste. Bilder einer Beerdigung kamen mir in den Kopf.

Das war der Moment, als mein Hirn aussetzte. Wie eine Wahnsinnige hämmerte ich gegen das Glas. Ich warf mich dagegen, aber es half nichts. Also nahm ich den erstbesten größeren Stein, den ich am Boden finden konnte, und versuchte es damit.

Knack! Risse bildeten sich in dem Fenster. Beim zweiten Schlag zersprang die Scheibe. Ich schnitt mir dabei in die Finger, aber ignorierte die Wunden und den Schmerz.

Mit einem letzten Funken Geistesgegenwärtigkeit schlug ich die gröbsten Scherben aus dem Rahmen, ehe ich mich am Fensterbrett hochzog und mir dabei weiter die Hände zerschnitt. Schnell kletterte ich über die Arbeitsplatte. Ich hatte es ins Haus geschafft.

Die Hände fest zu Fäusten ballend, um die Blutungen zu stoppen, eilte ich Richtung Wohnzimmer. Ich hämmerte mit der Faust auf den Lichtschalter, konnte mich gerade noch bremsen, bevor ich in die geschlossene Wohnzimmertür rannte. Seltsam. Die Tür stand sonst immer offen.

Nachdem ich die Klinke heruntergedrückt hatte, erkannte ich, warum die Tür geschlossen war. Dort auf dem Boden, wo sonst die so gemütliche Couch stand, war jetzt eine große Schüssel mit Wasser. In dem Wasser schwamm eine Kerze. Adi hatte das Ritual also wirklich durchgeführt. Aber was viel wichtiger war: Die Kerze brannte noch. Er war am Leben! Und ich würde alles daransetzen, dass es so blieb.

Während ich also zur Kerze lief, fiel mir auf, dass außer mir niemand hier war. Von der zweiten Person, die die Kerze bewachen sollte, fehlte jede Spur. Das Wohnzimmer war menschenleer.

Oh, Adi, du Dummkopf!‘, dachte ich, während ich Luft holte und mich zur Kerze bückte.

Er war noch leichtsinniger, als ich gedacht hatte: Nachdem ich angedeutet hatte, das Ritual nicht zu unterstützen, musste er entschieden haben, es allein durchzuziehen. Adi hatte nicht den Dukun um Hilfe gebeten, der ihm bei den Vorbereitungen geholfen haben musste. Er hatte niemanden um Hilfe gebeten. Zum Glück war ich jetzt da.

Während ich jedoch im Begriff war, die Kerze auszupusten – ich musste nur noch kräftig ausatmen –, hallte ein zweiter Schuss durch die Nacht.

Die kleine Flamme flackerte vor meinen Augen, ehe sie sich geräuschlos in einen dünnen Faden aus Rauch verwandelte. Es war zu spät. Ich hatte es nicht rechtzeitig geschafft. Die Kerze war erloschen. Adi war tot.

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Die Legende:

Das Babi Ngepet ist ein Wildschwein der indonesischen Mythologie. Um genau zu sein, ist es ein Mensch, der sich während eines speziellen Rituals in ein Wildschwein verwandelt.

Das Ritual:

Das Babi Ngepet Ritual ist eine Form von Pesugihan – dunkle Magie, die den Anwendern schnelles Geld bringen soll. Das Wort kommt von dem javanischen Wort „sugih“, was „wohlhabend“ bedeutet.

Wie das Ritual genau abläuft, habe ich nicht herausfinden können, aber man benötigt dazu zwei Personen, eine schwarze Robe oder einen schwarzen Umhang, eine schwimmfähige Kerze, ein kleines Wasserbecken und passende Opfergaben.

Außerdem muss man ggf. den Kontakt zu einem Schweinedämon oder Satan herstellen können, weshalb die Leute, die das Ritual durchführen wollen, oft zu einem Dukun, einem indonesischen Schamanen, gehen.

Was die Opfergaben betrifft, habe ich verschiedenste Dinge gelesen. Mal soll es ausreichen, dass man während des Rituals seinen Körper und seine Menschlichkeit aufgibt, andere Male muss einer der Ausführenden Schweinekot essen und wieder andere Male wird sogar das Leben eines geliebten Menschen oder Blutsverwandten als Opfer gefordert.

Nachdem das Ritual entsprechend vorbereitet und die Opfergaben erbracht wurden, müssen die beiden Ausführenden sich nachts treffen. Einer von ihnen zieht die schwarze Robe bzw. den schwarzen Umhang an, während der andere die Kerze in das gefüllte Wasserbecken legt und sie anzündet.

Anschließend verwandelt sich die Person in der schwarzen Robe in das Babi Ngepet. Es begibt sich nach draußen, um durch die Straßen zu ziehen und die Wertsachen der Anwohner zu stehlen. Ob der Mensch dabei die Kontrolle über seinen verwandelten Körper behält, ist nicht bekannt.

Während das Babi Ngepet fort ist, muss die zweite Person die gesamte Zeit wachsam die Kerze im Auge behalten. Sollte die Flamme anfangen, zu flackern oder zu schrumpfen, ist das Babi Ngepet und somit auch die verwandelte Person in Gefahr, da es z. B. entdeckt wurde oder gejagt wird.

Wird die Kerze nun so klein oder flackert so sehr, dass sie fast erlischt, sollte sie sofort ausgeblasen werden, da sich die verwandelte Person in Lebensgefahr befindet. Daraufhin verwandelt sie sich zurück in einen Menschen und kehrt – wenn man einigen Versionen glaubt – zum Verwandlungsort zurück.

Ohne Fremdeinwirkung erlischt die Kerze hingegen nur dann, wenn das Ritual beendet wurde, das Babi Ngepet sich also selbstständig zurückverwandelt hat, oder wenn es stirbt.

Aussehen:

Das Babi Ngepet sieht wie ein Wildschwein aus. Manchmal wird es als ungewöhnlich groß beschrieben, aber ansonsten lässt es sich optisch nicht von einem völlig normalen Wildschwein unterscheiden.

Eigenschaften:

Nachdem der Mensch sich in das Babi Ngepet verwandelt hat, läuft es im Schutz der Dunkelheit durch die Nachbarschaft. Es reibt sich an den Hauswänden und Haustüren, woraufhin Geld, Schmuck und andere Wertsachen aus dem Haus oder der Wohnung auf magische Weise verschwinden sollen.

Selten ist auch davon die Rede, dass sich das Babi Ngepet in die Häuser schleichen muss, um sich dort an den Schränken und Zimmertüren zu reiben, woraufhin die Wertsachen verschwinden.

Sobald die Nacht sich dem Ende nähert oder das Babi Ngepet entscheidet, dass es genügend Leute bestohlen hat, kehrt es an den Verwandlungsort zurück, wo es sich wieder in einen Menschen verwandelt. Die gestohlenen Wertsachen befinden sich nun in seinem schwarzen Umhang.

Das alles klingt jedoch einfacher, als es tatsächlich ist. In Indonesien ist der Glaube an die Babi Ngepet nämlich noch immer weit verbreitet. Wird dort also nachts ein Wildschwein gesichtet, das um die Häuser streift, wird es oft gejagt. Nicht selten werden die Tiere dabei, oder nachdem sie gefangen genommen wurden, getötet.

Lebensraum/Vorkommen:

Berichte von Babi Ngepet kommen meist, wahrscheinlich aufgrund der lokalen Bekanntheit, von der indonesischen Insel Java. Auf den anderen indonesischen Inseln sind sie weniger bekannt und werden daher seltener gesichtet.

Ursprung:

Die Legende der Babi Ngepet ist wahrscheinlich im Zeitraum zwischen 1830 und 1870 entstanden. Damals wurde in Indonesien das System Tanam Paksa (die Pflanzpflicht) eingeführt. Bauern mussten fortan, statt Pachtgebühren zu zahlen, auf 20% ihres Landes Pflanzen für den Staat anbauen oder 60 Tage im Jahr auf staatlichen Plantagen arbeiten. Außerdem wurde ihnen teilweise vorgegeben, welche Pflanzen sie anzubauen hatten.

Was darauf folgte, war eine Zeit der Hungersnöte und Armut, während die niederländischen Kolonialherren in kurzer Zeit sehr reich wurden.

Um den plötzlichen Reichtum zu erklären, wurde den Kolonialherren daher schwarze Magie vorgeworfen. Darunter fielen zahlreiche Pesugihan-Rituale wie auch das Babi Ngepet Ritual.

Aber auch, wenn sich an der Gesellschaftsstruktur in Indonesien seitdem einiges geändert hat, blieben die Legenden über die Rituale erhalten. So findet man ein Babi Ngepet z. B. in dem indonesischen Videospiel DreadOut. Und auch im sonstigen Volksglauben haben Babi Ngepet noch immer einen festen Platz.

Kürzliche Sichtungen:

Noch heute gibt es zahlreiche Gerüchte über die übernatürlichen Schweine. So sorgte Ende April 2021 ein Fall für nationale Aufregung, als in dem kleinen Dorf Badahan ein vermeintliches Babi Ngepet gesichtet wurde. Am Montag, den 26. April trafen sich zwölf Männer, zogen sich nackt aus – aus irgendeinem Grund waren sie der Meinung, dass sie nur so das übernatürliche Schwein sehen könnten – und machten Jagd auf ein Wildschwein. Sie erlegten es, schnitten ihm den Kopf ab und begruben beides an separaten Orten. Der Fall erfreute sich bei der Presse solch großer Beliebtheit, dass das Lembaga Ilmu Pengetahuan Indonesia (Indonesisches Institut für Wissenschaft) öffentlich verkündet hat, dass es keine Babi Ngepet gäbe, um eine Menschenansammlung zu Coronazeiten zu vermeiden.

Ein weiterer Fall ist gerade einmal zwei Monate alt. Ebenfalls Ende April, diesmal jedoch 2023, kam es in Pondok Aren, South Tangerang City, zu einem Aufschrei, als in einer WhatsApp-Gruppe ein Video eines vermeintlichen Babi Ngepet geteilt wurde. Die Bewohner vereinbarten daraufhin, nachts in der Straße wache zu halten und es herrschte eine Menge Aufruhr. Später stellte sich heraus, dass das Tier auf dem Video nichts weiter als ein streunender Hund war. Auch dieser Fall erlangte nationale Bekanntheit.

Ihr seht also: Auch wenn es keinerlei Beweise für ihre Existenz gibt, sind die Babi Ngepet in den Köpfen zahlreicher Menschen aus Indonesien noch immer mehr als real.

Was haltet ihr von dem Babi Ngepet Ritual? Würdet ihr ein solches Ritual durchführen, um reich zu werden? Schreibt es in die Kommentare!

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3 Kommentare

  1. Rabbat07 schreibt:

    ein wirklich sehr interessantes Ritual, und eine gute Geschichte!

    es errinert mich irgendwie an ein Ritual vom dem ich Mal gehört hab, wo man einen Hund bis zum Hals vergaben, und Grade so außerhalb der Reichweite hinstellen muss, um den Hund zu köpfen und den Kopf, wenn ich mich richtig errinere, am Straßenrand zu vergraben. ich glaube das war was japanisches

    • Jeremie Michels schreibt:

      Oje. Das arme Tier. 😱

      Kennen tu ich das Ritual jedenfalls nicht (und ich hätte ehrlich gesagt etwas Angst vor den Ergebnissen, wenn ich danach google). Weißt du noch, was das Ritual bewirken soll?

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