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Das richtige Bild folgt in Kürze.

Gloson – Der Jahresgang Teil 2

Gloson ist ein Wesen, auf dessen Beitrag ich mich schon lange gefreut habe. Immerhin bin ich ein Skandinavien-, Schweine und Geisterfan.

Bevor ich mich also in meine diesjährige Winterpause verabschiede, folgt hier der zweite Teil der diesjährigen Weihnachtsgeschichte „Der Jahresgang“.

Viel Spaß beim Gruseln!

Triggerwarnungen

– Krankheit: ALS

– Andeutung an den Tod eines Kindes

Die Geschichte:

Diese Geschichte ist der zweite Teil des diesjährigen Weihnachts-Specials. Wenn ihr den vorherigen Teil noch nicht kennt, könnt ihr ihn Hier nachlesen.

Meine Knie zitterten – diesmal wusste ich nicht, ob es an der Kälte oder meiner Nervosität lag – während ich auf die Kirchentür zuging.

Zum Glück brannte in den Fenstern kein Licht mehr. Es verlief lediglich eine Lichterkette einmal um das Kirchendach herum, die mir ein willkommenes, wenn auch schwaches Licht spendete.

Vorsichtig kniete ich mich vor die Tür. Was jetzt folgte, war einer der wichtigsten Momente des Årsgång-Rituals. In meinen Büchern wurde es so beschrieben, dass ich damit meinen Glauben ablegte – und somit auch den einzigen Schutz, den Gott mir vor übernatürlichen Wesen geben würde.

Ich holte tief Luft, während ich hoffte, dass das Ganze eher symbolisch gemeint war, ehe ich den Mund zum Schlüsselloch führte und die eingeatmete Luft zusammen mit meinem Glauben hindurchblies. Um auf Nummer sicher zu gehen, dass ich alles richtig machte, hörte ich erst auf, als meine Lungen komplett leer waren.

Sicherlich kennt ihr das Schwindelgefühl, wenn ihr zu viel Luft ausgepustet habt. Wie ich herausfinden musste, ist der Schwindel nochmal um einiges intensiver, wenn ihr euch sowieso schon schwach und ausgelaugt fühlt.

Ich musste mich einen Moment an der rauen Steinwand festhalten. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die Luft um mich herum plötzlich ein gutes Stück kälter geworden war, hoffte aber, dass ich es mir nur einbildete.

Es folgte das inzwischen vertraute Kichern von Grim an meinem Ohr. „Thorbjörn also. Das ist dein Name. Ich bin ehrlich: Sven gefiel mir besser. Aber man kann sich seinen Namen ja nicht aussuchen.“

Mein Herz rutschte mir in die Hose. Also war es mehr als nur eine symbolische Geste gewesen – das, oder Grim hatte die ganze Zeit nur so getan, als würde er meinen Namen nicht kennen.

Ich atmete einmal tief durch. Das Ritual war fast zu Ende. Alles, was noch fehlte, waren drei kurze Runden gegen den Uhrzeigersinn um die Kirche. Drei kurze Runden, die mich umbringen konnten.

Zu meiner Überraschung begann die erste Runde ruhig. Ich sah mich aufmerksam um, konnte aber nichts Auffälliges entdecken, während ich dicht an die Steinwand des Kirchengebäudes gedrückt durch den knöchelhohen Schnee stapfte.

Bei dem ersten Kirchenfenster hielt ich inne. Allerdings nicht, weil ich etwas gehört hatte, sondern weil das Teil des Årsgångs war. Man sollte durch jedes erreichbare Kirchenfenster sehen, um weitere Visionen zu empfangen.

Ich sah bereits, dass Licht aus dem Fenster schien. Trotzdem musste ich mich auf Zehenspitzen stellen, um mehr zu erkennen. Zum Vorschein kam eine gut gefüllte, prunkvoll mit Blumen dekorierte Kirche. Die Anwesenden trugen allesamt Anzüge und Kleider, während sie auf den Bänken saßen und sich erwartungsvoll zur Eingangstür umdrehten. Als dann auch noch Einar, unser Pfarrer, den Hochzeitsmarsch auf der Orgel anstimmte, wusste ich sofort, was los war. Anja Larsson hatte sich vor wenigen Wochen mit ihrem Freund, einem Norweger, verlobt. Es war seitdem das Klatschthema Nummer 1 gewesen. Als sie wenige Sekunden später tatsächlich in einem weißen Kleid die Kirche betrat, wandte ich mich ab.

Bereits nach wenigen Schritten verstummte die Hochzeitsmusik wieder und ließ mich mit der Kälte, dem Geräusch knirschenden Schnees und meinem knurrenden Magen zurück.

Die nächsten beiden Fenster waren ähnlich unspektakulär. Das zweite blieb dunkel, während ich im dritten Fenster Zeuge von Maja Holmquists Beerdigung wurden. Zwar brach es mir das Herz, Jonna mit einem zerknitterten Zettel in der Hand vor dem viel zu kleinen Sarg ihrer Tochter stehen zu sehen, wie sie weinend versuchte, einige Worte an die anderen Trauernden zu richten, doch auch die Beerdigung von Maja war seit der Vision am Friedhof keine Neuigkeit mehr für mich gewesen.

Das vierte und letzte Fenster blieb wieder dunkel. Aber es bot eh lediglich einen Einblick in einen Anbau mit einer Sofaecke und Küche, die dem Pfarrer und der Kirchengemeinde zur Verfügung standen.

Und so näherte ich mich bereits nach wenigen Minuten wieder der Kirchentür und somit dem Ende meiner ersten Runde. Ich konnte bereits meine eigenen Fußspuren einige Meter vor mir im Schnee sehen, als plötzlich ein Blitz die Nacht erhellte. Fast unmittelbar folgten ein lauter Knall sowie eine heiße Luftwelle, die mich von der Seite traf. Schnell drehte ich mich um.

Das Haus gegenüber der Kirche – soweit ich wusste ein Einfamilienhaus, in dem eine vierköpfige Familie wohnte – hatte wie aus dem Nichts Feuer gefangen.

‚Eine Explosion?‘, schoss es mir in den Kopf.

Es dauerte nur Sekunden, bis die Flammen, die an den hölzernen Wänden hochzüngelten, das ganze Haus eingenommen hatten.

Im nächsten Moment öffnete sich die Haustür. Ein brennender Mann kam auf die Straße gerannt, der wild um sich schlug und wie am Spieß kreischte.

Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nicht fast auf den Trick hereingefallen und ihm zur Hilfe geeilt wäre. Gerade rechtzeitig fiel mir jedoch auf, wie unbekümmert die Bewohner der anderen Häuser zu sein schienen. Niemand trat auf die Straße. Ich konnte nicht einmal neugierige Gesichter an den Fenstern sehen, von Leuten, die die Explosion eindeutig gehört haben mussten.

Schließlich brach der Mann auf der Straße zusammen. Er hörte aber nicht auf, sich zu bewegen. Während noch immer kleine Flammen über seinen inzwischen schwarzgebrannten Körper zuckten, streckte er plötzlich einen Arm nach mir aus. „Wer ist da? Thorbjörn? Bist du das?“, fragte der mir fremde Mann mit erstaunlich fester Stimme.

Jetzt drang auch der Geruch an meine Nase. Es war aber kein abartiger Gestank, wie er manchmal beschrieben wurde, es roch eher nach einem gemütlichen Grillabend. Angewidert wandte ich mich ab.

„Ach komm, das haben wir doch echt gut in Szene gesetzt“, ertönte Grims Stimme wieder aus dem Nichts, während ich hörte, wie der Verbrannte mir mehrfach nachrief, dass ich ein Monster sei.

Ich schüttelte den Kopf. Geister waren echt geschmacklos. Zum Glück musste ich sie nur noch für zwei Runden um die Kirche ertragen. Ich hatte die Tür erreicht.

Wie auch bei der ersten Runde musste ich wieder in das Schlüsselloch pusten. Diesmal blieb ich vorsichtshalber einen Moment länger davor knien, um den Schwindelanfall abklingen zu lassen. Leider half es nur wenig. Wäre mein Magen nicht komplett leer gewesen, hätte ich nach dem Aufstehen wahrscheinlich auf den Boden gekotzt. So würgte ich jedoch nur trocken, während ich versuchte, einigermaßen geradeaus zu gehen. Zur Sicherheit blieb ich mit meiner linken Hand in Kontakt mit der Steinwand, bis ich das erste Fenster erreichte.

Die erste Vision war die einer Taufe. Ich beobachtete gelangweilt, wie der Pfarrer den Kopf eines kleinen Kindes mehrere Male unter Wasser drückte, ehe ich entschied, weiterzugehen.

Als ich mich abwandte, bemerkte ich jedoch eine Bewegung aus dem Augenwinkel, gefolgt von schweren Schritten. Misstrauisch sah ich in Richtung eines sich bewegenden Busches. Erst jetzt wurde mir klar, dass dahinter der Friedhof liegen musste.

Ich entschied, dass es schlauer wäre, nicht abzuwarten, bis ich herausfand, was sich von dort näherte.

Beim nächsten Fenster angekommen konnte ich eine traurige Melodie hören, ich wagte jedoch keinen Blick durch die Scheibe, da in diesem Moment eine Gestalt aus den Büschen trat. Sie hatte eine menschliche Statur – und kam direkt auf mich zu.

Ich wusste nicht, ob ich beim Årsgång rennen durfte. Oder ob ich überhaupt physisch dazu in der Lage wäre. Also beschleunigte ich bloß meine Schritte. Das wiederum schien die Silhouette anzustacheln. Sie gab eine Art Röcheln von sich, ehe sie zu einem Sprint ansetzte.

Mein Magen krampfte sich zusammen, als ich es sah. Aber was konnte ich tun? Ich hatte keine Waffe bei mir, nichts, um mich zu verteidigen, also begann ich zu joggen – schneller schafften es meine Beine in meinem Zustand nicht.

Ich hatte es gerade um die nächste Ecke geschafft, als das Ding mich einholte. Zuerst bemerkte ich einen Geruch nach Verwesung, ehe mich plötzlich eine abgemagerte Hand am Arm packte.

Panisch wirbelte ich herum, um den Angreifer abzuwehren, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel mit dem Rücken voran in den Schnee. Gleichzeitig spürte ich, wie etwas Schweres auf mich stürzte. Der Aufprall presste mir mit einem keuchenden Geräusch die Luft aus den Lungen.

Während ich auf dem Rücken lag, sah ich, wie ein bleiches, eingefallenes Gesicht direkt über mir hing. Milchige Augen musterten mich. Und auch der Gestank nach Verwesung hatte deutlich zugenommen. Ein Wiedergänger.

Ihr kennt diese Wesen vielleicht besser als Zombies. Doch während Untote im Fernsehen durchaus gefährlich werden konnten, hatten Wiedergänger eine sehr viel schlimmere Eigenschaft: Ihre bloße Berührung brachte den Tod. Ich hatte Glück, dass der Großteil meines Körpers von dicker Winterkleidung bedeckt war. Würde er mich hingegen im Gesicht berühren …

Ein Röcheln entwich seinen Lippen, als der Mann sich an meinem Körper hochdrückte. Ich sah, dass seine Hand sich meinem Kopf näherte.

Panisch griff ich nach seinem Arm. Ich versuchte, seine Finger von mir fernzuhalten, aber der Untote hatte eine unglaubliche Kraft. Zentimeter für Zentimeter näherten seine abgemagerten Klauen sich meinem Hals.

Ich wühlte unterdessen mit der freien Hand panisch im Schnee neben mir, hoffte, dass ich etwas fand, mit dem ich mich verteidigen konnte – einen Stein, einen Ast, irgendetwas. Aber da war nichts.

Also setzte ich alles auf eine Karte. Als seine Finger meine Haut fast berührten, drehte ich mich leicht nach rechts, um meinen Körper anschließend mit voller Kraft nach links zu werfen.

Es funktionierte nicht ganz wie geplant. Ich hatte gehofft, genug Schwung aufzubringen, um über den Wiedergänger zu gelangen. Aber wenigstens lag er jetzt neben mir.

Ich zögerte keine Sekunde. Hektisch drehte ich mich auf den Bauch und drückte mich hoch. Gerade dachte ich, dass ich es geschafft hätte, als eine knöcherne Hand mein Fußgelenk umschloss.

Ich sah nicht hin, während ich mit dem Fuß wild um mich trat. Mit einem Tritt erwischte ich irgendetwas Hartes, das nach einem widerwärtigen Knacken plötzlich weich nachgab. Wenn ich raten müsste, würde ich auf seinen Brustkorb tippen, auch wenn ich dafür eigentlich schon zu weit weg war. Trotzdem gab die Hand mich schlagartig frei.

Schnell stolperte ich vorwärts. Die Geräusche hinter mir verrieten aber, dass ich den Kampf noch nicht gewonnen hatte. Der Wiedergänger richtete sich ebenfalls auf, also beeilte ich mich, zurück zur Tür zu kommen.

Während die stapfenden Geräusche hinter mir wieder näherkamen, warf ich mich um die Ecke. Ich stolperte, fing mich und stürzte schließlich zur Kirchentür. Gerade noch so schaffte ich es, mich an der Türklinke festzuklammern, knallte mit dem Gesicht schmerzhaft gegen das Holz und schmeckte Blut, ehe ich mehr schlecht als recht einen halben Atemzug in das Schloss hauchte. Trotzdem wusste ich, dass ich zu langsam war. Mir fehlte die Kraft, mich sofort wieder aufzurappeln. Kapitulierend schloss ich die Augen. Der Wiedergänger musste jede Sekunde bei mir sein.

Dann geschah … nichts. Überrascht blinzelnd sah ich mich um. Von dem Wiedergänger fehlte jede Spur. Wo war er hin?

„Er ist abgehauen“, erklärte Grim, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Und wenn du schlau bist, machst du das auch. Ob du es glaubst oder nicht, selbst ich habe Angst vor ihr.“

Ich ahnte bereits, von wem er sprach. Es gab nur eine Sie, die laut meinen Büchern am Ende des Årsgångs auftauchen solle: Gloson. Ein fürchterliches Geisterschwein. Es wunderte mich jedoch, dass Grim angeblich Angst vor ihr habe. Was hatte er als Geist noch zu verlieren?

Um etwas Kraft zu tanken, blieb ich einen Moment vor der Kirchentür sitzen. Außerdem nutzte ich die Zeit, um meine gespaltene Unterlippe zu kühlen – eine Verletzung, die ich meiner unsanften Begegnung mit der Kirchentür verdankte. Wie einfach es wäre, jetzt meine Augen zu schließen und mich der süßen Verlockung des Schlafs hinzugeben …

Aber natürlich war das für mich keine Option. Ich war schon so weit gekommen, da konnte ich jetzt nicht einfach aufgeben.

Also los, Thorbjörn‘, forderte ich mich in Gedanken auf. ‚Eine letzte Runde, dann darfst du endlich nach Hause gehen.

Bereits bei dem Gedanken an ein Glas Wasser, eine Scheibe Brot oder vielleicht ein Müsli und mein kuscheliges Bett wurde mir sofort wärmer ums Herz. Wie sehr ich mich gerade nach der Geborgenheit sehnte. Den Gedanken fest umklammernd rappelte ich mich auf.

Für die letzte Runde hatte ich mir vorgenommen, keine Zeit mehr mit den Visionen zu verschwenden. Stattdessen entschied ich, nur flüchtig durch die Scheiben zu blicken, um möglichst schnell mit der Runde durch zu sein. Die Fenster ganz zu ignorieren, traute ich mich hingegen nicht. Immerhin waren die Visionen ein wichtiger Bestandteil des Årsgångs und ich wollte nicht riskieren, daran jetzt noch zu scheitern.

Beim ersten Fenster klappte mein Plan sehr gut. Ich sah bloß flüchtig irgendeine Konfirmation, die mich auch so nicht wirklich interessiert hätte. Schnell wandte ich den Blick wieder ab, um zum zweiten Fenster weiterzugehen.

Dort erklang dieselbe traurige Musik wie in der letzten Runde. Wieder warf ich einen flüchtigen Blick durch die Scheibe. Eine Beerdigung. Doch auch jetzt wollte ich mich schnell wieder abwenden – bis mein Blick auf das Foto neben dem Sarg fiel: Mama …

Für einen Moment war ich wie erstarrt, als wolle mein Kopf nicht begreifen, was ich da vor mir sah. Aber natürlich begriff ich es. Es war ihre Beerdigung. Meine Mutter würde im kommenden Jahr sterben. Nichts, was ich tat, konnte daran etwas ändern. Meine Recherche, der Årsgång, meine Pläne – alles war umsonst gewesen.

Trotzdem stiegen in mir keine Tränen auf. Es war eine kalte Erkenntnis, die mein Herz gefrieren ließ. In mir fühlte ich nichts als Leere, war wie erstarrt. Es war jedoch in dieser Starre, dass mir eine Frau ins Auge fiel, die ich nicht auf der Beerdigung erwartet hatte: Jonna Holmquist. Sie saß in der ersten Reihe, direkt neben mir, hatte einen Arm um mich gelegt und streichelte sanft meine Schulter, während ich weinte.

Jonna, meine alte Jugendliebe. Was machte sie auf Mamas Beerdigung? War sie meinetwegen gekommen? Ihre Berührung wirkte so zärtlich, so liebevoll. Und genau das war der Funke, der meine Leere wieder füllte. Ich hatte einen Grund, weiterzuleben. In ihrer dunkelsten Stunde, dem Tod ihrer Tochter, würde ich für Jonna da sein – und sie für mich in meiner.

Mit der neu gewonnenen Kraft wollte ich gerade weitergehen, als ich hinter mir ein tiefes Grunzen hörte.

Langsam drehte ich mich um. Sofort sah ich die zwei rot brennenden Augen, die mich aus dem Halbdunkel anstarrten. Der Rest von Glosons weißem Körper, ihr Fell mit den rasiermesserscharfen Borsten am Rücken und der tiefhängende Kopf mit den für eine Wildsau erstaunlich großen Eckzähnen, gingen fast völlig im Schnee unter.

Mein nächster Blick galt dem kleinen Gegenstand, den ich in ihrem Maul entdeckte: eine Schriftrolle. Sie war es, die einem magische Kräfte verleihen sollte. Die Gerüchte waren also real.

Krampfhaft versuchte ich, mich an alles zu erinnern, was ich über Gloson gelesen hatte. Sie würde versuchen, zwischen meinen Beinen hindurchzulaufen, um mich mit ihren scharfen Rückenborsten zu zerteilen. Die beste Möglichkeit, sich dagegen zu schützen, war es, seine Beine zu überkreuzen, sodass sie nicht mehr hindurch konnte. Andererseits musste ich irgendwie an die Schriftrolle gelangen, wenn ich aus dem Årsgång mit magischen Fähigkeiten hinausgehen wollte. Wenn ich also im richtigen Moment die Beine kreuzen würde …

Mehr Zeit zum Überlegen hatte ich nicht. Gloson setzte bereits zum Angriff an. Sie schnaufte, stieß dabei Wolken aus ihren Nasenlöchern und preschte los.

Ich hörte ihren schweren Atem, während sie näherkam. Gleichzeitig spürte ich, wie mein Puls anstieg. Als sie mich fast erreicht hatte, verlagerte ich das Gewicht und trat mit dem linken Fuß nach rechts, sodass meine Beine ein X bildeten.

Gloson rannte nur knapp an mir vorbei, allerdings nicht nah genug, dass ich nach der Schriftrolle hätte greifen können. Hätte ich es versucht, hätte ich wahrscheinlich das Gleichgewicht verloren.

Also brauchte ich einen neuen Plan. Vielleicht, wenn ich rechtzeitig zur Seite sprang …

„Was zur Hölle tust du da?“, drang Grims Stimme an mein Ohr, während ich mich wieder normal hinstellte.

Gleichzeitig behielt ich Gloson genau im Auge. Ich sah, wie sie sich wieder positionierte, zu einem neuen Sprint ansetzte und auf mich zulief.

Erst jetzt merkte ich, wie lückenhaft mein Plan war. Gloson war viel zu schnell. Ich würde es nie schaffen, gleichzeitig die Schriftrolle zu packen und zur Seite zu springen. Nicht mit meinen halb eingefrorenen Gliedern.

Trotzdem versuchte ich es. Ich hatte jedoch zu viel Angst, warf mich zu früh zur Seite, sodass meine Hand nicht einmal in die Nähe der Schriftrolle kam. Ich landete mit dem Gesicht voran im Schnee.

Den Geräuschen nach trampelte Gloson nur knapp an mir vorbei. Sie gab einen quiekenden Schrei von sich.

„Ganz toll, Thorbjörn!“, brüllte Grim mich an. „Wenn du sie wütend machen willst, bist du auf dem besten Weg! Du brauchst die verdammte Schriftrolle doch gar nicht mehr. Deine Mutter ist so gut wie tot!“

Ein Stich fuhr durch mein Herz. Trotzdem hatte Grim recht. Sie war der einzige Grund, warum ich die Schriftrolle haben wollte. Aber seit wann gab er mir Tipps, wie ich überleben konnte? Wollte er nicht die ganze Zeit, dass ich sterbe?

Grim gab ein genervtes Knurren von sich. „Hör zu. Ich weiß, du hast keinen Grund, mir zu vertrauen, aber ich möchte nicht, dass dieses verdammte Biest noch jemanden tötet. Es reicht, dass sie mir damals das Leben genommen hat! Also steh endlich auf und beende die verdammte letzte Runde!“

Mein Hirn raste. Ich wusste nicht, ob das wieder irgendein Trick war. Aber Grim hatte recht. Ich musste hier weg!

Mein ganzer Körper schmerzte, während ich mich aufrappelte. Schnee hing in meinem Bart, klebte an meiner Kleidung.

Gloson ging unterdessen in Kreisen um mich herum, wie ein Hai, der jeden Moment angreifen würde. Jetzt senkte sie wieder den Kopf. Sie schnaufte.

„Beine kreuzen!“, fordere Grim mich auf.

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Schnell trat ich mit dem linken Bein nach rechts.

Gloson grunzte unzufrieden. Sie hob den Kopf, begann hin und her zu laufen, als warte sie auf den richtigen Moment, um noch einmal zuzuschlagen.

„Gut“, schaltete Grim sich wieder ein. „Ich behalt das Biest im Auge. Kannst du so gehen?“

Ich versuchte es. Meine Beine fühlten sich träge an. Wann immer sie sich berührten, zuckte Schmerz durch meine Schenkel. Aber ich kam voran.

Langsam und unbeholfen arbeitete ich mich vorwärts, während ich Gloson den Rücken zuwandte. Zwar traute ich Grim noch immer nicht wirklich, aber es war meine beste Chance, voranzukommen.

Als ich die Kirchenwand erreicht hatte und mich abstützen konnte, ging es etwas schneller.

Gloson blieb die ganze Zeit hinter mir. Aber tatsächlich griff sie nicht an. Und so dauerte es nicht lange, bis ich wieder fast bei der Kirchentür war.

„Weißt du, Thorbjörn“, hob Grim wieder die Stimme. „Ich hatte echt gedacht, dass du es nicht schaffst. Aber dann hast du dich in deiner eigenen Vision gesehen. Dein Schicksal stand bereits fest. Egal ob ich dir helfe oder nicht, du wirst nächstes Jahr in dieser verdammten Kirche sitzen.“

Ich blinzelte überrascht. Darüber hatte ich gar nicht nachgedacht. Trotzdem erlaubte ich mir nicht, innezuhalten.

Inzwischen war ich bei der Tür angekommen. Es stellte sich als schwieriger heraus, als gedacht, mich mit überkreuzten Beinen hinzuhocken, aber nach wenigen Versuchen klappte es.

Grim lachte bitter. „Hätte mir jemand vorhin gesagt, dass ich mich einmal freuen würde, dass ein Mensch den Årsgång schafft, hätte ich dir nicht geglaubt.“ Er sprach lauter. „Hörst du das, Gloson? Thorbjörn hat dich überlebt!“ Dann wieder leiser: „Verdammtes Mistvieh. Aber genug geredet. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Also dann: Frohe Weihnachten … Sven.“

Mit diesen Worten blies ich ein letztes Mal in das Schlüsselloch.

Ich spürte die Veränderung bereits in der Luft. Auch ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass Gloson und Grim fort waren. Trotzdem kam ich nicht umhin, in die Luft zu lächeln. „Frohe Weihnachten, Grim“, krächzte ich mit trockenem Hals. Dann stand ich auf und machte mich auf den Heimweg.

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Die Legende:

Gloson ist ein Wesen der schwedischen Folklore. Es ist ein fürchterliches Geisterschwein, das fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem Årsgång erwähnt wird.

Der Name „Gloson“ setzt sich aus den schwedischen Wörtern „glo“ (glotzen, blenden) und „son“ (die Sau) zusammen. Wie der Name verrät, ist Gloson also weiblich.

Aussehen:

Gloson ist ein schneeweißes Schwein oder Wildschwein bzw. eine Sau oder Wildsau. Sie hat große Haken (Bezeichnung der Eckzähne weiblicher Wildschweine) und rotglühende oder brennende Augen.

Auf ihrem Rücken hat sie rasiermesserscharfe Borsten, die an Klingen oder ein Sägeblatt erinnern. Da sie ihre Borsten als Waffe nutzt, rennt sie meist gebückt und hält ihren Kopf dicht am Boden.

In einigen Geschichten hat sie noch weitere Merkmale. So hält sie manchmal etwas im Maul, z. B. eine Sichel, ein Buch oder eine Schriftrolle, hat brennende Borsten, trägt einen kleinen Mann oder Jungen auf dem Rücken, hat unzählige Augen, ist unsichtbar, hat Ferkel bei sich uvm.

Wie ihr seht, kann sich das Aussehen von Gloson also sehr unterscheiden. Trotzdem wird sie in fast jeder Geschichte als eine schneeweiße Sau mit feurigen Augen und messerscharfen Rückenborsten beschrieben.

Eigenschaften:

Gloson taucht hauptsächlich in dunklen Winternächten auf. Sie ist Teil des Årsgångs, einer alten schwedischen Weissagungstechnik, und erscheint als letzte Hürde, um jemanden an der Ausführung des Årsgångs zu hindern.

Wenn sie erscheint, versucht sie, zwischen den Beinen ihres Opfers hindurchzurennen, um es mit ihren scharfen Borsten in der Mitte zu zerteilen oder es auf ihren Rücken zu werfen und fortzutragen. Wenn das Opfer fortgetragen wird, stirbt es entweder an den Verletzungen durch die scharfen Borsten, weil es verdurstet oder an Erschöpfung, da der wilde Ritt mehrere Tage bis Wochen dauern kann.

In anderen Geschichten wirft Gloson ihre Opfer nach einiger Zeit ab. Auch hier ist man aufgrund des kalten Winters oder der Verletzungen jedoch oft dem Tode geweiht. Hat man hingegen „Glück“ und überlebt, ist man dank des wilden Ritts dem Wahnsinn verfallen.

Laut einigen Versionen der Legende hat Gloson außerdem etwas bei sich, das der Årsgång-Durchführende braucht, um den Årsgång zu beenden oder magische Fähigkeiten zu erlangen. Dabei kann es sich z. B. um ein Buch oder eine Schriftrolle über schwarze Magie oder geheimes Wissen oder um einen anderen magischen Gegenstand handeln.

Wenn man Gloson tatsächlich begegnet, gibt es viele Möglichkeiten, wie man sich gegen sie schützen kann. So ist Silber, besonders, wenn es geweiht wurde, aber auch Stahl oder Eisen eine bewährte Waffe gegen das Übernatürliche. Zudem helfen Gebete, das Kreuzzeichen oder wenn man seine Beine kreuzt. Gerade Letzteres wird oft im Zusammenhang mit Gloson erwähnt, da es nicht nur vor dem Bösen schützen soll, sondern auch verhindert, dass Gloson zwischen den Beinen ihres Opfers hindurchlaufen kann.

Alternativ soll es einige Nahrungsmittel geben, mit denen man Gloson ablenken kann. In einer Quelle habe ich von sieben Jahre alten Nüssen gelesen, die man ihr hinwerfen muss, damit sie sich darauf statt auf ihr Opfer konzentriert.

Lebensraum/Vorkommen:

Die Legende von Gloson wurde hauptsächlich im Süden Schwedens verbreitet. Daher soll Gloson hauptsächlich dort vorkommen. Es gibt aber auch Texte aus anderen Orten Schwedens, in denen von ihr die Rede ist.

Ursprung:

In den ältesten Texten über den Årsgång ist von Gloson noch keine Rede. Stattdessen wird von einem Reiter berichtet, dessen Pferd mit brennender Mähne einen Runenstab im Maul trägt, das dem Årsgång-Durchführenden magische Fähigkeiten verleiht, sofern er ihn dem Pferd entwenden kann.

Erst später wird dieser Reiter samt Pferd durch Gloson abgelöst. Die brennende Mähne wurde zu den brennenden Borsten bzw. Augen Glosons, während andere Motive wie der magische Stab oder der Reiter, wenn auch jetzt in kleinerer Form, in einigen Versionen komplett übernommen wurde.

Wieso für Gloson das Motiv des Schweins gewählt wurde, ist naheliegend: Schweine (auch Hausschweine) sind früher oft in der Wildnis umhergelaufen und konnten eine Gefahr für unschuldige Passanten darstellen. Besonders aggressiv und gefährlich waren sie, wenn sie Junge hatten.

Das Schwein war früher also, auch wenn es als Haustier sehr beliebt war, durchaus gefürchtet. Und auch heute noch haben viele Menschen (zurecht) Angst vor Wildschweinen, da sie schnell aggressiv werden, Menschen angreifen und sie schwer bis tödlich verletzen können.

Was haltet ihr von Gloson? Würdet ihr den Årsgång durchführen, auch wenn ihr wisst, was euch bei der Kirche alles erwarten kann? Schreibt es in die Kommentare!

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6 Kommentare

  1. Rabbat07 schreibt:

    hmm.. jetzt muss ich iwie an eine altpreußische (oder so) Legende denken von der ich letztens gehört habe.. „Der Wolfsjunge“ er soll in den Wintermonaten auftauchen, und kinder mit sich nehmen, im sie ihn wölfe zu verwandeln. am Weihnachtsabend jedoch vergeht der Zauber, und die Kinder gehen ohne errinerung an ihr „wolfsleben“ heim, in dem sie dem Wolfsjunge, (ein magerer junge, der abgesehen von seinen Wolfszähnen, Wolfsohren und dem Schweif wie ein Normalet Mensch aussehen soll) gehorchen, da dieser das Alpha des Rudels sei..

    interessante Legende meiner Meinung nach, vielleicht etwas über deine Liste? 😉
    ein Beitrag über ihn würde mich persönlich sehr freuen ^^

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