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The Carter Brothers Zeichnung von Jeremie Michels. Das Bild zeigt ein Mädchen in einem altmodischen blauen Kleid, dass an einen Stuhl gefesselt ist. Hinter ihr stehen zwei Silhouetten mit rot leuchtenden Augen in der Dunkelheit.
The Carter Brothers (2025)

The Carter Brothers – Sie wollen dein Blut!

The Carter Brothers ist eine Vampirlegende aus den USA. Es geht um ein kleines Mädchen, das in die Fänge der beiden Kreaturen gerät. Aber lest selbst.

Viel Spaß beim Gruseln!

Triggerwarnungen (Achtung Spoiler!)

– Kindesentführung
– Gewalt gegen Kinder
– Blut

Die Geschichte:

Es gibt Erfahrungen, die uns nie verlassen. Erfahrungen, die einige von uns in den Wahnsinn treiben können, während andere versuchen, ihr Leben normal weiterzuleben.

Mein Name ist Ruth und ich hatte eine solche Erfahrung, als ich noch ein kleines Mädchen war. Damals hatte ich in New Orleans gelebt. Es war das Jahr 1932, die Zeit der Great Depression. Doch obwohl mein Vater wie unzählige andere seinen Job verloren hatte, gehörte ich zu den glücklicheren Kindern. Während viele meiner Mitschüler die Schule verlassen mussten, um zu arbeiten und ihren Eltern zu helfen, hatte meine Familie einige Rücklagen. Aber darum geht es in meiner Geschichte überhaupt nicht. Es geht darum, wie ich von den Carter Brothers entführt wurde.

Es war ein Tag wie jeder andere. Nach der Schule war ich wie immer in Miss Fergusons Schneiderei gegangen, um ihr auszuhelfen und so etwas Geld zu verdienen. Es war nicht viel, aber ich war froh über jeden Dollar, mit dem ich meine Eltern unterstützen konnte.

Danach machte ich mich auf den Heimweg, um zusammen mit meinen Eltern und meinen beiden Brüdern zu Abend zu essen.

Der Himmel färbte sich bereits rosa, während die flachen Absätze meiner Schuhe über den gepflasterten Weg klackerten. Autos fuhren mit dröhnenden Motoren an mir vorbei. Es roch nach Abgasen und Industrie – einen Geruch, den ich aus Gewohnheit nicht mehr wirklich wahrnahm. Die Gesichter der Menschen, die mir entgegenkamen – Männer in schicken Anzügen und Frauen in mehrschichtigen Kleidern – waren ausdruckslos.

Kurz gesagt: Es war alles wie immer. Mein Heimweg war reine Gewohnheit für mich. Seit Jahren ging ich diese Straßen entlang, fünfmal die Woche, ohne dass je etwas passiert war. Ich achtete gar nicht mehr wirklich auf meine Umgebung. Und so sah ich den Arm nicht kommen, der plötzlich aus einer Seitenstraße schnellte. Er packte mich am Oberarm und riss mich in die Gasse. Ein kurzer spitzer Aufschrei war alles, was ich von mir geben konnte. Dann wurde mir auch schon ein nasser Lappen aufs Gesicht gedrückt.

Sofort stieg mir ein süßlich-künstlicher Geruch in die Nase. Er erinnerte mich an die Putzmittel, die meine Mom manchmal benutzte.

Natürlich wehrte ich mich gegen meinen Angreifer. Ich trat und schlug um mich, versuchte, den Lappen von meinem Gesicht zu reißen. Aber der Mann – Wayne Carter, wie ich später erfuhr – hielt mich eisern fest.

Es dauerte nicht lange, bis mir schwummerig wurde. Mit jedem Atemzug durch den stinkenden Lappen wurden meine Schläge kraftloser. Bald fing die Welt um mich herum an sich zu drehen. Kurz darauf verlor ich das Bewusstsein.

Ich frage mich oft, warum die Carter Brothers ausgerechnet mich ausgesucht hatten. Ihr müsst wissen, dass ihre anderen Opfer ausschließlich Erwachsene waren. War es bloß Zufall gewesen? War ein anderes Opfer gestorben und ein Mädchen wie ich war ein leichtes Ziel gewesen? Eine günstige Gelegenheit, weil ich mich nicht gegen sie wehren konnte? Weil es nicht weiter auffiel, wenn ein Mann ein schlafendes Mädchen durch die Stadt trug? Ich wusste es nicht.

Als ich zu mir kam, saß ich in einem dunklen Zimmer. Mein Kopf dröhnte. Ich fühlte Stoff in meinem Mund. Aber als ich versuchte, den Lappen auszuspucken, merkte ich, dass er hinter meinem Kopf zusammengebunden war.

 Auch fielen mir jetzt die Seile auf, mit denen meine Arme an einen Stuhl gefesselt waren. Und auch meine Beine konnte ich nicht wirklich bewegen.

Ich stieß panische Laute aus, erstickt von dem Knebel, warf den Kopf nach links und rechts. Dabei sah ich die anderen.

In dem Zimmer standen weitere Stühle. Sie waren – genau wie meiner – mit Schrauben am Boden fixiert. Doch was viel schlimmer war: In jedem der vier Stühle saß ein weiterer Mensch. Sie waren gefesselt und geknebelt, genau wie ich. Ein Mann etwa so alt wie Dad und drei Frauen in ähnlichem Alter. Aber da war noch etwas anderes: Ihre Handgelenke waren mit weißem Stoff umwickelt. Er war von roten Flecken durchzogen.

Was passierte hier nur? Mit einem erneuten Quieken versuchte ich, die Frau zu meiner Rechten auf mich aufmerksam zu machen. Aber sie sah nicht einmal auf. Obwohl ihre Augen offen waren, hing ihr Kopf schlaff herab. Würde ihre Brust sich nicht langsam heben und senken, hätte ich sie für tot gehalten.

Plötzlich hörte ich das Knallen einer Tür und eine Männerstimme aus dem Nebenzimmer. „… sind schon wieder gestiegen. Wer kann das alles noch bezahlen?“

Wieder machte ich Lärm. Ich versuchte zu schreien, den Mann auf mich aufmerksam zu machen. Und tatsächlich: Die Tür öffnete sich.

„Mach dir keinen Kopf, John. Solange wir unsere Jobs nicht verlieren, müssen wir uns kein Sorgen machen“, sagte ein zweiter Mann, der jetzt den Raum betrat.

Schlagartig wurde ich still. Es war der Mann, der mich in die Gasse gezerrt hatte.

Zum ersten Mal konnte ich meine Entführer richtig sehen. Sie sahen erschreckend normal aus. Zwei Männer im Alter von 30 oder 40 Jahren. Sie trugen schlichte Kleidung, beige Hemden und je eine braune Ballonmütze auf dem Kopf. Sie sahen aus, als wären sie völlig normale Dockarbeiter.

„Ach so“, warf der erste Mann – John – ein, während er die Tür hinter sich schloss. „Die Anderen wollen am Samstag zum Boxen gehen. Harrison hat wohl eine Wette laufen. Sie haben gefragt, ob wir mitwollen. Hast du Lust?“

Der zweite Mann zuckte mit den Schultern, während er zu einem Tisch ging. „Weiß nicht“, erwiderte er. „Ich bin kein Fan von diesem sinnlosen Rumgeprügel.“ Er nahm irgendetwas von dem Tisch und begann, es mit einer Flüssigkeit zu säubern.

„Ach, hab dich nicht so, Wayne. Gib dir einen Ruck. Das wird bestimmt lustig.“

Wayne zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich denk drüber nach.“

Die Situation kam mir surreal vor. Bisher hatte mich keiner der beiden Männer auch nur eines Blickes gewürdigt. Sie unterhielten sich, als wären fünf Gefangene in ihrem Zimmer das normalste der Welt.

Dann drehte Wayne sich zu mir um. Er war fertig damit, das Skalpell in seinen Händen zu desinfizieren. Mein Atem beschleunigte sich, während ich mit aufgerissenen Augen auf die Klinge starrte.

Wayne sah zu John, während er auf mich zukam. Doch von dem kam keine Antwort mehr. Stattdessen hielt er einen glänzenden Kelch in der Hand und kam jetzt ebenfalls auf mich zu.

Hektisch sah ich zwischen ihnen hin und her. Was hatten sie vor?

John erreichte mich als erster. Er löste mit geschickten Griffen das Seil um meinen linken Arm. Wollten sie mich gehenlassen?

Sobald mein Arm jedoch frei war, packte er wieder danach. Er hielt ihn fest, sodass ich ihn nicht mehr bewegen konnte.

Nun war auch Wayne bei mir. Er hielt das Messer vor sich, als wolle er mir drohen. Sein Blick war dabei stur auf meinen Arm gerichtet.

Mit Entsetzen sah ich dabei zu, wie er die Klinge an meine weiche Haut führte. Ich versuchte, mich zu wehren, den Arm freizubekommen. Aber die Seile und John hielten mich zu sehr fest.

Tränen schossen mir in die Augen. Ich wimmerte und versuchte wieder durch den Stoff zu schreien, ihn anzuflehen, mich in Ruhe zu lassen. Aber Wayne zögerte nicht einmal, da zog er mir die Klinge bereits durch das Handgelenk.

Sofort wurde mir wieder schwindelig. Blut lief in einem kleinen Rinnsal aus der Wunde, das John nun mit seinem Kelch auffing. Je mehr ich mich wehrte, desto mehr Blut schoss aus meinem Arm. Am liebsten hätte ich weggesehen, aber ich konnte es nicht. Mir war speiübel.

Und dann war es vorbei. Wayne reichte das blutige Skalpell an John weiter, ehe er eine weiße Rolle Verband hervorkramte. Genauso routiniert, fast beiläufig, wie bei dem Schnitt mit dem Messer verband er mein Handgelenk. Der Verband drückte fest auf die frische Verletzung. Er griff nach dem Seil und schlang es mir um den Arm, ehe er es wieder verknotete. Das alles, ohne mir auch nur ein einziges Mal ins Gesicht zu sehen.

Während ich dasaß und weinte, gingen sie weiter zu der Frau neben mir. Sie entfernten die Fesseln ihres rechten Arms, ehe sie ihren Verband lösten. Ich sah jede Menge getrocknetes Blut und die kaum verheilte Wunde an ihrem Handgelenk. Auch bei ihr zögerten Wayne und John keine Sekunde, ehe sie die Wunde mit dem Skalpell wieder öffneten und ihr Blut in dem Kelch einfingen. Die Frau zeigte dabei fast so wenig Reaktion wie die Männer selbst.

So gingen die beiden einmal reihum. Die drei anderen Gefangenen reagierten ganz unterschiedlich. Eine der Frauen versuchte erfolglos, sich zu wehren, der Mann weinte und die andere Frau schloss die Augen und wiegte sich langsam vor und zurück, bis Wayne ihren Arm wieder verbunden hatte.

Jetzt war der Kelch fast randvoll mit Blut. John und Wayne richteten sich auf, sie sahen einander an und lächelten.

„Auf dich, Bruderherz“, sagte John, während er Wayne zuprostete. Er nahm einen kräftigen Schluck Blut, schien ihn richtig zu genießen.

Allein bei dem Gedanken dreht sich mir noch heute der Magen um. Ich sehe sein Gesicht noch immer vor mir, wie er genüsslich die Augen schließt, Blut an seinen Lippen, und die Flüssigkeit mit völlig zufriedener Miene herunterschluckt.

Anschließend gab er den Kelch an Wayne weiter. „Auf uns“, sagte dieser, ehe auch er aus dem Kelch trank.

Nachdem sie unser Blut brüderlich geteilt hatten, nahmen sie den leeren Kelch mit ins Nebenzimmer, schlossen die Tür hinter sich und ließen uns in der dunklen Kammer allein.

Am Anfang saß ich noch völlig angespannt auf meinem Stuhl. Ich achtete auf jedes Geräusch, das aus dem Nebenzimmer kam, wartete nur darauf, dass die Brüder zurückkamen. Aber das taten sie nicht. Für den Rest der Nacht ließen sie uns allein. Und so war ich, völlig erschöpft von den Ereignissen des Tages und noch immer angeschlagen von dem Narkosemittel und dem Schnitt in meinem Arm, bald eingeschlafen.

Ich wachte erst wieder auf, als die Sonne durch die Vorhänge vor den Fenstern schien. Sie tauchte den Raum in ein schummriges Licht. Für einen kurzen Moment wusste ich nicht, wo ich war. Es war ein Moment des Friedens. Dann jedoch spürte ich den Schmerz in meinem Handgelenk und wurde gewaltsam in die Realität zurückgerissen.

Mein Oberkörper war zur Seite gekippt, mein linker Arm verrutscht, sodass mir die Fessel in der Armbeuge hing. Sie saß locker. Ungläubig starrte ich das Seil an. Wenn ich den Arm soweit darin bewegen konnte, vielleicht konnte ich dann …

Sofort zerrte und rüttelte ich an meinem Arm. Er bewegte sich. Langsam, aber sicher arbeitete ich die Fessel zurück Richtung Hand. Dabei spürte ich, wie ich mir die Haut an dem Seil aufrieb. Und auch die Wunde am Handgelenk riss wieder auf. Ich spürte, wie Blut aus dem Schnitt quoll. Aber das war mir egal. Es funktionierte. Nur noch wenige Zentimeter, dann war ich beim Handgelenk. Jetzt am Handrücken. Die schwierigste Stelle war der Daumen, wo meine Hand am breitesten war. Aber ich schaffte es. Mit einem Ruck zog ich das raue Seil über mein Daumengelenk und meine linke Hand war frei.

Für einen Moment starrte ich bloß meinen Arm an, als könne ich es selbst nicht glauben. Ich sah mich zu meinen Mitgefangenen um. Sie hatten es noch nicht bemerkt.

Schnell machte ich mich daran, das Seil an meinem anderen Arm zu lösen. Es saß deutlich fester und war mit einem komplizierten Knoten versehen, wie ihn nur Seeleute kannten. Oder Dockarbeiter. Leider verstand ich das Prinzip dahinter nicht. Ich weiß nicht, wie lange ich tatsächlich daran saß, aber es kam mir vor wie über zehn Minuten, bis ich ihn endlich offen hatte. Dabei achtete ich die ganze Zeit auf alle möglichen Geräusche, irgendetwas, das mir verriet, dass die beiden Brüder zurückkamen. Aber im Haus blieb es still.

Also widmete ich mich den Seilen um meine Beine. Mein Herz raste vor Aufregung. Wieder dauerte es gefühlte Ewigkeiten, auch wenn die zweite freie Hand definitiv half.

Während ich gerade beim letzten Bein war, bemerkten mich eine der Frauen. Sie gab ein „Mhhh! Mhhhmhhh!“ von sich und machte so auch die anderen auf mich aufmerksam. Auch sie machten sofort Geräusche. Es brach ein wahres Konzert aus erstickten Schreien und Rufen aus. Sogar die Frau zu meiner Rechten sah mich aus erschöpften Augen an.

Panisch riss ich mir den Knebel aus dem Mund. „Seid leise! Seid leise!“, flehte ich.

Aber sie hörten nicht auf mich. Als hätten sie jegliche Vernunft verloren, schrien sie gedämpft weiter.

Langsam brach in mir Panik aus. Wenn sie so weitermachten, würden sie mich verraten! Ich zerrte und riss an dem Seil, zwang mich zur Ruhe, um den Knoten nicht wieder fester zu ziehen. Mein Puls dröhnte mir in den Ohren, während ich endlich eine Schlaufe aus dem Knoten zog. Ich zwängte meinen Zeigefinger hinein, zog an dem Seil und ich war frei.

Sofort sprang ich auf. Für einen kurzen Moment drehte sich alles, dann bekam mein Kreislauf sich wieder ein.

Mein erster Instinkt war, den anderen zu helfen. Ich wandte mich der Frau zu, die mir am nächsten saß, ging einen Schritt auf sie zu. Dann jedoch fiel mein Blick auf ihre Augen. Sie waren noch immer völlig ausdruckslos, völlig ohne jegliche Hoffnung. Außerdem waren da noch ihre Fesseln. Wie lange würde es dauern, bis ich sie gelöst hatte? Hatte ich so viel Zeit? War sie überhaupt stark genug, selbst zu gehen?

Ich stolperte wieder rückwärts. „Ich … Ich hol Hilfe“, stammelte ich. Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und rannte zu der Tür, durch die die beiden Männer letzte Nacht hereingekommen waren.

Die von Stoff erstickten Schreie meiner Mitgefangenen wurden lauter, panischer. Aber ich war zu feige, hatte zu viel Angst, dass die beiden Brüder zurückkamen, meinen Fluchtversuch vereitelten.

Vorsichtig spähte ich in das andere Zimmer. Es war ein Wohnzimmer, etwas altmodisch aber ansonsten nicht ungewöhnlich eingerichtet. Von den beiden Männern fehlte jede Spur. Also schlich ich weiter zur Eingangstür. Kurz hatte ich die Befürchtung, dass sie verschlossen sei. Aber sie ließ sich ohne Probleme öffnen. Nach einem kurzen Sprint durch ein Treppenhaus war ich auf der Straße.

Sofort stieg mir wieder der Industriegeruch in die Nase. Es war eine willkommene Abwechslung gegenüber dem süßlichen Gestank in der Wohnung. Trotzdem erlaubte ich mir keine Pause. Ich kannte die Gegend – es war die Ecke, an der die Royal Street und die St. Ann Street aufeinandertrafen. Mein Zuhause war vielleicht zehn Minuten von hier entfernt.

Ohne weiter darüber nachzudenken, rannte ich los. Um diese Zeit waren die Straßen fast leer. Und die wenigen Menschen, die ich traf, ignorierten mich oder sahen mich bloß uninteressiert an, als ich versuchte, ihnen von den beiden Brüdern zu berichten, die mich und die vier anderen entführt hatten.

Dann jedoch bemerkte ich einen Polizisten, der mir entgegenkam. Ich rannte zu ihm und stellte mich ihm in den Weg.

„Bitte. Sie müssen mir helfen! Da waren zwei Männer. Sie haben mich entführt. Und es gibt noch vier andere. Sie brauchen Hilfe!“, schrie ich ihn an.

Der Polizist musterte mich. Er ging in die Hocke, um mir besser ins Gesicht sehen zu können. „Na, meine Kleine. Hast du dich verlaufen?“ Er hörte mir gar nicht richtig zu.

„Nein!“, protestierte ich. „Da waren zwei Männer. Sie haben unser Blut getrunken. Bitte, Sie müssen sofort mitkommen!“ Ich griff nach seinem Arm.

Dabei fiel sein Blick auf den blutigen Verband um mein Handgelenk. „Bist du verletzt?“, fragte er, endlich etwas mehr Ernst in seiner Stimme.

„Ja, aber das ist jetzt nicht wichtig. Den anderen geht es viel schlimmer als mir. Kommen Sie. Schnell!“, drängte ich.

So ganz schien er mir nicht zu glauben, aber nach kurzem Zögern erklärte er sich wenigstens bereit, mir zu folgen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er ruhig ein Stück schneller gehen können, aber trotzdem standen wir kurze Zeit später vor der Wohnung meiner beiden Entführer.

Ich öffnete die Tür. Dabei stieg mir wieder dieser eklige süßliche Geruch in die Nase. Ich verzog das Gesicht.

Der Polizist hingegen war plötzlich in Alarmbereitschaft. Ohne, dass ich ihn erneut dazu auffordern musste, stürmte er in die Wohnung. „Hallo? Ist jemand da?“, fragte er.

Keine Antwort.

„Der Raum da hinten!“, sagte ich bloß. Ich zeigte auf die Tür.

Den restlichen Tag habe ich nur noch verschwommen in Erinnerung. Ich weiß noch, wie der Polizist die anderen befreit hatte, ehe er auf die Straße gerannt war, um mit seiner Trillerpfeife nach Verstärkung zu rufen.

Die anderen vier wurden, nachdem der Polizist uns befragt hatte, zusammen mit mir ins Krankenhaus gebracht. Soweit ich weiß, haben alle überlebt. Das heißt alle, die ich kennengelernt hatte. In einem Nebenzimmer lagen zwei Leichen, die die Carter Brothers nicht überlebt hatten. Sie waren auch für den Geruch in der Wohnung verantwortlich.

Was die Carter Brothers selbst angeht, so habe ich von ihnen nur noch in der Zeitung gelesen. Mein Bruder verdiente sein Geld als Zeitungsjunge, daher bekamen wir sie gratis. Und auch, wenn ich mich vorher nie wirklich dafür interessiert hatte – es gab so viele schwierige Wörter und so lange Texte darin – bin ich seit meiner Entführung eine eifrige Zeitungsleserin geworden. Es gab kaum einen Tag, an dem ich die Seiten nicht mindestens durchblätterte.

Jedenfalls wurden Wayne und John Carter noch am selben Tag verhaftet. Die Polizei wartete in der Wohnung, bis die beiden Brüder am Abend von ihrer Arbeit an den Docks nach Hause kamen. Wenn man den Zeitungen glauben konnte, brauchte es ganze acht Polizisten, um die beiden unscheinbaren Männer zu überwältigen.

Während ihres Prozesses berichteten die Brüder davon, Vampire zu sein, was zumindest ihre Eigenart erklärte, Blut zu trinken. Laut Polizei litten sie an Wahnvorstellungen. Die Brüder gaben ein umfangreiches Geständnis ab, weshalb sie schließlich zu Tode verurteilt wurden.

Danach las ich eine ganze Weile nichts mehr über sie. Der Fall schien in Vergessenheit zu geraten. Zumindest, bis man drei Jahre später einen Cousin in dem Familiengrab der Carters bestatten wollte. Von den Leichen der beiden Brüder fehlte jede Spur. Vielleicht war an ihrer Aussage, Vampire zu sein, ja doch etwas dran. Oder sie waren Leichendieben zum Opfer gefallen.

Zwei Tage später berichtete die Zeitung davon, dass sich eine gewisse Mildred Fisher, ein anderes Opfer der Carter Brothers, in eine psychiatrische Einrichtung einweisen ließ. Ich denke, dass sie die Frau mit dem ausdruckslosen Blick war, die mich noch manchmal in meinen Träumen verfolgt.

Es gibt Erfahrungen, die uns nie verlassen. Erfahrungen, die einige von uns in den Wahnsinn treiben können, während andere versuchen, ihr Leben normal weiterzuleben. Ich kann aber sagen, dass es nicht immer einfach ist.

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Die Legende:

„The Carter Brothers“ (Englisch für „die Carter-Brüder“) ist eine urbane Legende aus New Orleans, USA. Sie handelt von zwei Serienmördern, die sich selbst für Vampire gehalten haben oder tatsächlich welche gewesen sein sollen.

Täter:

Die Täter waren John und Wayne Carter – meist nur „the Carter Brothers“ genannt.

Sie waren zwei Hafenarbeiter von durchschnittlicher Größe und Statur. Trotzdem sollen sie ungewöhnlich stark gewesen sein und regelmäßig Blut getrunken haben.

Ob sie tatsächlich Vampire gewesen sein sollen, ist nicht eindeutig geklärt. Zwar gibt es Hinweise darauf, andererseits hatten sie aber keine Probleme damit, bei Tageslicht an den Docks zu arbeiten.

Viel mehr ist über die beiden nicht bekannt.

Ablauf:

Im Jahr 1932 wurde in New Orleans ein unbenanntes Mädchen von den Carter Brothers entführt. Die Brüder fesselten sie an einen Stuhl in ihrer Wohnung – genau wie die anderen vier Opfer, die mit ihr im selben Zimmer saßen.

Jeden Abend, wenn die Carter Brothers in die Wohnung kamen, sollen sie ihr und den anderen Opfern einen Schnitt am Handgelenk zugefügt haben, aus dem sie das Blut in einem Gefäß gesammelt und anschließend getrunken haben. Dabei haben die Brüder angeblich kaum geredet.

Nachdem sie fertig waren, verbanden sie die Schnitte und ließen die Opfer für die restliche Nacht in Frieden, nur um am nächsten Abend wiederzukommen.

Bei dem kleinen Mädchen haben die beiden jedoch einen Fehler gemacht: Sie haben die Fesseln, mit denen sie an den Stuhl gebunden war, nicht eng genug gezogen, sodass sie sich befreien konnte, während die Beiden bei der Arbeit waren.

Statt die anderen Opfer zu befreien, flieht sie nach draußen, wo sie einem Polizisten begegnet, während sie die Straße entlang rennt. Je nach Version spricht sie ihn an oder wird von ihm aufgehalten.

Nachdem sie ihm panisch die Situation erklärt hat, folgt der Polizist ihr skeptisch zu der Wohnung, wo er die anderen Opfer sowie mehrere Leichen findet. Die Zahl der Leichen variiert dabei zwischen zwei bis zu „über ein Dutzend“.

Der Polizist befreit die Opfer und ruft sofort Verstärkung, um den Carter Brothers aufzulauern. Die Carter Brothers werden am Abend festgenommen, als sie nichtsahnend von der Arbeit zurückkehren. An dieser Stelle heißt es oft, dass bis zu acht Polizisten nötig waren, um die ungewöhnlich kräftigen Männer zu überwältigen.

Alternativ können die Brüder entkommen, indem sie vom Balkon springen, werden jedoch am nächsten Tag bei ihrer Arbeit, zu der sie trotzdem zurückkehren, festgenommen.

Im Laufe der Gerichtsverhandlungen werden die Carter Brothers schließlich zu Tode verurteilt und hingerichtet. Dabei sollen sie selbst gesagt haben, dass sie Vampire seien und weitere Unschuldige angreifen müssten, sollten sie freikommen. In einigen Versionen sollen sie sogar selbst um ihre Hinrichtung gebeten haben.

Als einige Zeit später eine weitere Person im Familiengrab der Carters, wo auch die Carter Brothers liegen, bestattet werden soll, kommt es jedoch zu einer unheimlichen Entdeckung: Von den Leichen der Brüder fehlt jede Spur.

Angeblich sollen die beiden Vampire noch heute durch die Straßen von New Orleans ziehen und neue Opfer suchen. Manchmal werden sie angeblich auch auf ihrem Balkon gesichtet.

Die Opfer:

Über den Verbleib der Opfer ist nicht viel bekannt. Es heißt jedoch, dass die Gefangenschaft bei den Brüdern ihre Spuren hinterlassen habe. Eine von ihnen soll sich sogar selbst in eine Nervenheilanstalt einweisen lassen haben.

Außerdem ist in manchen Versionen von einem männlichen Opfer die Rede, das nach den Ereignissen ebenfalls zu einem Vampir und Serienmörder geworden sei. Es ist teilweise von über 400 Opfern die Rede, die der Mann auf dem Gewissen haben soll. Mehr weiß man über ihn jedoch nicht.

Ort des Geschehens:

Wie bereits erwähnt soll sich die Legende in New Orleans zugetragen haben. Um genau zu sein, in dem Haus an der Royal Street 800 im French Quarter, wo die Carter Brothers gelebt haben sollen.

Ursprung:

Über den Ursprung der Legende habe ich leider erstaunlich wenig herausfinden können. Es wirkt aber so, als sei sie reine Fiktion. Weder in den Zeitungen von damals noch im Verzeichnis der zu Tode Verurteilten in New Orleans oder irgendwelchen Gerichtsakten aus der Gegend sollen sich Hinweise auf einen ähnlichen Fall finden lassen.

Das ist jedoch auch nicht weiter verwunderlich. Wie ich bereits in meinem Beitrag über das Hans Muller House erwähnt habe, ist New Orleans eine Stadt voller Spukhäuser und Geistergeschichten. Einige basieren auf wahren Begebenheiten, die meisten sind jedoch fiktiv – so anscheinend auch die Geschichte von John und Wayne Carter.

The Carter Brothers in der Popkultur:

Abgesehen von einigen Geistertouren in New Orleans, die das Haus und die Legende der Carter Brothers behandeln, ist mir kein Auftritt der Vampirbrüder in der Popkultur bekannt. Hinterlasst gerne einen Kommentar, solltet ihr einen Film, eine Serie, ein Buch o. Ä. kennen, in denen die Legende aufgegriffen wird.

Was haltet ihr von The Carter Brothers? Kanntet ihr die Legende bereits? Was würdet ihr tun, wenn ihr geknebelt und an einen Stuhl gefesselt aufwachen würdet? Schreibt es in die Kommentare!

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2 Kommentare

  1. Rosesreallysmelllikepoopoo says:

    Ich habe als erstes den Titel gelesen und etwas über Brüder und musste sofort an „Interview mit einem Vampir denken“. Nachdem ich deine Geschichte gelesen habe, wurde mir sehr schnell klar, dass sie wenig mit dem Film zutun hat aber diese Parallele fand ich doch recht spannend.
    Danke auf jeden Fall für die tolle Geschichte!

    • Jeremie Michels says:

      Den hab ich tatsächlich nie gesehen (oder gelesen), auch wenn der Film schon ewig auf meiner Watchlist steht. Vielleicht sollte ich ihn mir diesen Monat mal vornehmen. 😁

      Es freut mich aber, dass dir meine Geschichte gefallen hat! ^^

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